Der Zustand des Forsts in Pfungstadt ist besorgniserregend. Doch was sind die Gründe? Ob es an der Grundwasserentnahme liegt, darüber scheiden sich die Geister.
Von Matthias Voigt
Lokalredakteur Darmstadt-Dieburg
Für Arnulf Rosenstock ist die Lage klar: Der Wald in der Klingsackertanne leidet vor allem unter der starken Grundwasserentnahme. Die Stadt Pfungstadt und das Regierungspräsidium Darmstadt widersprechen dieser Meinung.
(Foto: Andreas Kelm)
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PFUNGSTADT - Wie kahle Stecken recken sich Zweige und Äste gen Himmel. Die vorwiegend Buchen und Kiefern rund ums städtische Wasserwerk Klingsackertanne in Pfungstadt sind in einem bemitleidenswerten Zustand. Der Wald wird immer lichter, die Entwicklung geht hin zur Versteppung. Doch wie konnte es so weit kommen? Über die Gründe wird heftig debattiert.
„Keine einzige Krone ist hier intakt, das ist kein Wald mehr“, sagt Arnulf Rosenstock, stellvertretender Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Darmstadt (SDW), und stapft zwischen efeubewachsenen Stämmen, Gras und Ginster umher. „Der Wald hier direkt neben dem Wasserwerk wird stark geschädigt.“ Für Rosenstock, der 22 Jahre Forstmeister von Darmstadt war, steht der Hauptgrund fest: „Durch die übermäßige Grundwasserförderung ist hier ein Absenkungstrichter entstanden, mit fatalen Folgen für den Wald.“
An vielen Stellen zeigt sich nurmehr Krüppelwuchs
Rosenstock schätzt den Trichter auf eine Fläche von rund 40 Hektar, betroffen sei das Gebiet nördlich des Sandbachs und der B 426. Er blickt auf das, was dort vom Wald übrig geblieben ist. Viele Bäume können ihre Kronen nicht mehr versorgen, wachsen daher statt nach oben nach unten, wo sie dichtes Buschwerk ausbilden. Dies geschieht, indem Triebe seitlich aus dem Stamm herauswachsen. Die walzenförmige Verzweigung reicht so hoch, wie der jeweilige Baum das Wasser noch pumpen kann. Die Baumkronen berühren sich nicht mehr, der Boden erhält mehr Licht, es siedeln sich Gräser an, der Verjüngungskreislauf ist durchbrochen. Die Versteppung schreitet voran.
RHEINWASSER FÜR DIE BÖDEN
Der Wasserverband Hessisches Ried bereitet im Brauchwasserwerk am Standort Biebesheim Rheinwasser auf. Die Kapazität des Wasserwerkes liegt bei 43 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Ein Teil davon wird an anderer Stelle im Hessischen Ried in den Boden geleitet, also infiltriert, um dort Grundwasserentnahmen auszugleichen.
Konkret besteht die Infiltrationsanlage Eschollbrücken/ Pfungstadt aus elf Sickerschlitzgräben, zwei Sickerbecken und einem Schluckbrunnen. (mv)
Die Sorgen, die Arnulf Rosenstock äußert, kann die Stadt Pfungstadt nicht teilen. „Eine besonders starke Schädigung direkt in der näheren Umgebung der Tiefbrunnen kann unserer Meinung nach nicht festgestellt werden“, sagt Thomas Fischer. Er ist bei der Stadt Pfungstadt der verantwortliche Ingenieur für Kanal und Wasser, also auch zuständig für das Wasserwerk. Die Waldschäden seien vielmehr im gesamten Bereich der Klingsackertanne zu beobachten.
Jährlich fördert das Wasserwerk Pfungstadt aus vier Brunnen zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser. Das sind umgerechnet 1,3 bis 1,5 Milliarden Liter Wasser. Nimmt man an, dass eine handelsübliche Badewanne 150 Liter fasst, werden von den vier Brunnen jährlich 8,66 Millionen Badewannen voll Wasser abgepumpt. Könnte diese Menge nicht Auswirkungen auf den Zustand des Waldes haben? Dem widerspricht Thomas Fischer vehement. „Die Grundwasserförderung der Stadt Pfungstadt ist in der Summe so gering, dass der Zustand des Waldes nicht auf die Grundwasserförderung der Stadt Pfungstadt zurückgeführt werden kann.“
Für das Wasserwerk Pfungstadt hat das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt sogar eine wasserrechtliche Bewilligung erteilt, wonach 1,8 Millionen Kubikmeter Wasser entnommen werden dürften. Anders als bei benachbarten Wasserwerken nötig, muss an der Klingsackertanne kein aufbereitetes Rheinwasser in den Boden sickern, um die Grundwasserentnahme auszugleichen. „Dem Wasserwerk sind keine unmittelbaren Infiltrationsorgane zugeordnet“, sagt RP-Pressesprecher Christoph Süß. Gleichwohl hätten die Infiltrationsanlagen in der Umgebung Einfluss auf die Höhe des Grundwasserspiegels im Bereich der Klingsackertanne.
Rosenstock will nicht so recht an die oft geäußerte Ansicht glauben, dass vor allem das Klima und der heiße Sommer 2018 schuld seien für den schlechten Zustand des Waldes „Denn hinter dem Absenkungstrichter sieht der Wald viel besser aus.“ Und diese Bäume seien schließlich auch dem gleichen heißen, trockenen Sommer ausgesetzt gewesen.
„Ein gesunder Wald hält auch einen Extremsommer aus“, sagt er. Doch dieser Wald leide seit Jahrzehnten, was unweigerlich mit der Wasserentnahme zusammenhänge.