Vereine im Kreis setzen auf Trendsportarten wie Parkour,um attraktiv und zukunftsfähig zu bleiben
Akrobatische Sprünge über Hindernisse und Klettereinlagen sind derzeit angesagt. Parkour heißt die Trendsportart, die unter anderem beim TV Reinheim und bei der SG Weiterstadt angeboten wird. In Reinheim hechten und wirbeln junge Leute um Übungsleiter Simon Schneider über die Matten. "Es geht darum, nur mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers Hindernisse durch Kombination verschiedener Bewegungen zu überwinden", beschreibt es Simon Schneider.
Beim TV 1888 Reinheim sind die Parkour-Sportler in der Sporthalle am Cestasplatz in Aktion. Foto: Guido Schiek
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DARMSTADT-DIEBURG - Akrobatische Sprünge über Hindernisse und Klettereinlagen sind derzeit angesagt. Parkour heißt die Trendsportart, die unter anderem beim TV Reinheim und bei der SG Weiterstadt angeboten wird.
In Reinheim hechten und wirbeln junge Leute um Übungsleiter Simon Schneider über die Matten. "Es geht darum, nur mit den Fähigkeiten des eigenen Körpers Hindernisse durch Kombination verschiedener Bewegungen zu überwinden", beschreibt es Simon Schneider. Der Kick an Parkour: die Kombination aus Kampfsport, Akrobatik und fließenden Bewegungen. Der Trend hat dem TV Reinheim inzwischen einige neue Mitglieder beschert. Viele der 100 Parkour-Fans waren bereits im TV, andere kamen aber über die Trendsportart hinzu. Auch die Sportgemeinde Weiterstadt (SGW) hat die Entwicklung vor etwa einem Jahr aufgegriffen. "Die Kurse sind immer blitzschnell ausgebucht", sagt auch Michael Gieselbach, der Vorsitzende der Sportgemeinde Weiterstadt (SGW). Anders als in Reinheim ist es ein offenes Angebot. Mit solchen Kursen, die nicht an eine Mitgliedschaft gebunden sind, fängt die SGW einen weiteren, eher unerfreulichen Trend auf, der seit Jahren viele Vereine erreicht hat: "Menschen wollen etwas für sich tun, aber nichts mit einem Verein zu tun haben", beschreibt es Gieselbach.
Vereine würden damit immer mehr zum Freizeitdienstleister. Diese Entwicklung bekommen auch die Abteilungen zu spüren. "Für relativ kleines Geld bieten wir unseren Mitgliedern eine ganze Menge. Die Bereitschaft, sich für den Verein einzubringen, geht gleichzeitig zurück. Bei vielen ist ihr Engagement mit der Zahlung des Mitgliedsbeitrags erledigt." Auch ein Trend: Eltern werden vermehrt zu unbekannten Wesen. "Die Kinder werden vor der Halle aus dem Auto gelassen und ein paar Stunden später wieder eingesammelt. Das war's."
WEITERE INFORMATIONEN
7438 Vereine gibt es im Amtsgerichtsbezirk Darmstadt, der die Landkreise Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Odenwald und Bergstraße sowie die Stadt Darmstadt abdeckt (Stichtag 31. Dezember 2016). Etwa 100 Vereine werden jedes Jahr gelöscht.
Doch etwa 180 neue Vereine kommen hinzu, sodass die Zahl der Vereine insgesamt wächst. Im Landkreis Darmstadt-Dieburg sind laut Kreispressestelle aktuell 1821 Vereine und Organisationen registriert. (sab)
Mit den stark nachgefragten Kursen, die nicht mit einer Vereinszugehörigkeit verknüpft sind, gewinne die SGW zwar kaum neue Mitglieder. Die Kursgebühren jedoch sorgen zumindest für Einnahmen und damit auch für den Erhalt der Abteilungen. Mit 2600 Mitgliedern zählt die SGW zu den größten Sportvereinen in Hessen. Existenzängste muss der Verein daher nicht haben. "Aber ausruhen können wir uns nicht", sagt Vorsitzender Gieselbach. Die vielen Räume, in denen die SGW wechselnde Angebote ausprobieren kann, seien sicher ein Vorteil. "Da haben es kleine Vereine, die nicht so flexibel sind, schwerer", sagt er.
Diesen harten Kampf hat der Judo-Club Bickenbach gerade verloren. "Wir haben Werbung geschaltet, Grillfeste organisiert, alle Mitglieder über die Notlage informiert, zu Versammlungen eingeladen. Aber es half nichts. Es kam kaum eine Rückmeldung. Und niemand wollte ein Amt im Vorstand übernehmen. Tja, das war's dann mit dem Judo-Club Bickenbach", sagt Kai Ilchmann, der letzte Vorsitzende des Vereins. Vor 30 Jahren hat er als Bub Judo in Bickenbach trainiert, war zuletzt Vorsitzender, weil sich kein anderer mehr fand. Der Plan, sich einem Verein anzuschließen, scheiterte. Letztendlich waren es viele kleine Hürden, an denen die Zukunft des Clubs gescheitert ist. Zum Beispiel, dass sich kaum Eltern gefunden hätten, die einen Fahrdienst zu Wettkämpfen übernehmen wollten. Oder wenigstens einen Kuchen für ein Fest beizusteuern. "Bei so wenig Resonanz war es sinnlos, den Club zu erhalten", sagt Ilchmann. Mit dem Judo-Club verabschiedet sich in diesem Jahr nach dem MGV Liederzweig 1859 bereits der zweite Verein aus dem Bickenbacher Vereinsleben.
Die Liste der gescheiterten Clubs im Kreis lässt sich weiter fortsetzen. Von einem Vereinssterben kann dennoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Ordentlich in Bewegung ist auch die Statistik beim Registergericht am Amtsgericht. Jedes Jahr werden etwa 80 Vereine mehr gegründet als gelöscht. Ob überwiegend Traditionsvereine die Segel streichen, könne er nicht sagen, meint der zuständige Rechtspfleger Norbert Pullmann.
Bei den neuen Vereinen lasse sich ein Trend erkennen: "Das sind oft Interessensgruppen, die über einen zeitlich begrenzten Raum ein gemeinsames Ziel verfolgen und eine Rechtsform benötigen, zum Beispiel, um Spendenquittungen ausstellen zu können." Mit den klassischen Vereinen, die auf Kameradschaft, Geselligkeit und Kontinuität setzten, haben diese Zusammenschlüsse nichts mehr zu tun. Weg vom Verein hin zum Dienstleister? "Wirtschaftlich gesehen ist das sicher ein interessantes Modell", räumt SGW-Vorsitzender Gieselbach ein. "Aber uns ist der Erhalt der Vereinsstruktur wichtig. Gemeinschaft, Zusammenhalt, das Miteinander zählen", sagt er.
Dafür setzt Peter Kraus vom Kleintierzuchtverein Gräfenhausen viele Hebel in Bewegung. Die Mitgliederzahl ist mit rund 80 über die Jahre konstant. Und mit Ställen auf dem Vereinsgelände ermöglicht der Verein das Hobby Kleintierzucht auch Mitgliedern, die daheim keine Tiere halten können. "Aber wenn es um Arbeitseinsätze geht, sind es immer dieselben, die anpacken", klagt Peter Kraus. Viele Mitglieder seien dazu mittlerweile schlicht zu alt. Und die Jugend? "Freundin, Ausbildung, Beruf, fort", beschreibt Peter Kraus.
Mit Kindergruppen setzen Feuerwehren auf die Zukunftssicherung. Denn erst mit etwa 17 Jahren ist der Beitritt in die Einsatzabteilung möglich. Eine lange Zeit, die überbrückt werden will. "Je mehr Angebote eine Kommune hat, umso härter ist der Wettbewerb", sagt Jürgen Draser von der Freiwilligen Feuerwehr Weiterstadt. Mit den Kindergruppen, die in Weiterstadt "Wasserdrachen" heißen, gelinge es, Mädchen und Jungen schon früh für die Wehr zu begeistern.
Wenn Vereine, gleich welcher Sparte, allein nicht mehr überleben können, setzen sie manchmal auf Fusion. So sind zum Beispiel die Handballspielgemeinschaft Worfelden/Braunshardt und der Tischtennisverein Weiterstadt/Gräfenhausen/Schneppenhausen entstanden.
Manchmal machen sich Vereine mit Formalien auch selbst das Leben schwer, ist die Erfahrung von Rechtspfleger Norbert Pullmann. "Komplizierte Satzungen, starre Aufgabenverteilung - das hebt die Hemmschwelle, einen Vorstandsposten zu übernehmen", sagt er. Mit kleinen Satzungsänderungen die mehr Spielraum lassen, könne recht leicht Abhilfe geschaffen werden. Bei dem ein oder anderen Verein habe dies die Abwärtsspirale schon gestoppt.