Kreisweit sind nur ein Drittel der Abgeordneten in den Kommunalparlamenten Frauen
"Manchmal", sagt Astrid Geiß, "habe ich einen ganz anderen Blickwinkel. Da muss ich mich eben ein bisschen stärker zu Wort melden." Astrid Geiß ist eine von 228 Parlamentarierinnen im Landkreis Darmstadt-Dieburg und die einzige Frau in ihrer Fraktion. Zwei Drittel der Kommunalpolitiker sind immer noch Männer. Das ist das Ergebnis einer Auswertung des Büros für Chancengleichheit beim Landkreis, die nun veröffentlicht worden ist.
Exotin: Astrid Geiß ist die einzige Frau in ihrer CDU-Fraktion. "Da muss ich mich eben ein bisschen stärker zu Wort melden", sagt die Groß-Zimmernerin. Foto: Guido Schiek
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DARMSTADT-DIEBURG - "Manchmal", sagt Astrid Geiß, "habe ich einen ganz anderen Blickwinkel. Da muss ich mich eben ein bisschen stärker zu Wort melden." Astrid Geiß (41) ist Kommunalpolitikerin - die einzige in ihrer Fraktion, der Groß-Zimmerner CDU. Und das mit dem Blickwinkel, ja, das habe offenbar schon etwas mit dem Geschlecht zu tun. Oder warum diskutieren "ihre CDU-Männer" zuerst mal über die Bausubstanz des Kindergartens, während ihr Kopfzerbrechen bereitet, wie die Kinder während eines Umbaus gut betreut werden könnten?
Ein bisschen was getan hat sich in den vergangenen fünf Jahren
Astrid Geiß ist eine von 228 Parlamentarierinnen im Kreis. Nur 228. Denn zwei Drittel der Kommunalpolitiker sind immer noch Männer. Das ist das Ergebnis einer Auswertung des Büros für Chancengleichheit beim Landkreis, die nun veröffentlicht worden ist. Das Büro hat nach den Wahlen im März 2016 die 23 Parlamente der Kommunen und den Kreistag unter die Lupe genommen. Und festgestellt: Ein bisschen was getan hat sich in den vergangenen fünf Jahren in Sachen Gleichberechtigung zwar - nämlich plus sechs Prozent auf jetzt 32,2 Prozent Frauenquote in den Gemeindevertretungen oder Stadtverordnetenversammlungen. Aber von Fifty-Fifty ist die Politik noch weit entfernt.
Auch Astrid Geiß hat sich erst bei der Wahl vor einem Jahr entschieden zu kandidieren. Jetzt, wo das jüngste ihrer vier Kinder elf ist, und Abendbrot auch mal alleine geregelt kriegt. "Vor fünf Jahren hätte ich mir das Amt wohl noch nicht zugetraut. Der Tag hat nur 24 Stunden", sagt die Zimmernerin, obwohl sie sich schon lange ehrenamtlich für Schule und Umwelt in der Gemeinde engagiert. Neben einem Teilzeitjob. Aber die Abendtermine für Parlament und Partei, das muss mit der Familie erst mal koordiniert werden. "Vielleicht liegen diese Sorgen aber auch an uns Frauen selbst?", fragt Astrid Geiß dann. "Meine männlichen Kollegen im Parlament haben schließlich auch Familie."
==Kommentar: Auf die Liste==
Janka Holitzka zu Kommunalpolitikerinnen
Gerade hat der Kreistag das Gender-Budgeting - also die Aufschlüsselung der Haushaltsposten nach Geschlecht - eingeführt. Jetzt folgt die bereits vierte ausführliche Broschüre, wie viele Frauen politisch aktiv sind. Kurz: Im Landkreis schaut man drauf, ob Männer und Frauen die gleichen Chancen haben, politisch teilzuhaben. Das ist richtig - aber es darf natürlich nur ein Wachrütteln sein. Denn niemandem bringt es was, wenn man daraus jetzt eine "Man müsste mal"-Grundsatzdebatte führt. Dass die Parteien ja durchaus Möglichkeiten haben, mehr Frauen den Weg ins Parlament zu ebnen, zeigt das Beispiel aus Modautal. Rauf auf die Liste (notfalls mit ein bisschen Überredungskunst), und zwar nicht nur auf die hinteren Plätze! Der nächste Schritt muss dann sein, auch ein Auge auf die anderen Gremien zu werfen. Denn die Broschüre des Landkreises zeigt auch, dass in den Gemeindevorständen und Magistraten nicht mal jedes fünfte Mitglied eine Frau ist. Wollen wir das im 21. Jahrhundert wirklich so? Diese Frage sollten sich die Ortsverbände jetzt stellen. Denn bis zur nächsten Kommunalwahl 2021 bleibt jetzt noch genug Zeit, auf Frauen zuzugehen und sie für sich zu gewinnen.
Die Broschüre "Frauen in die Kommunalpolitik! Der Frauenanteil in den politischen Gremien des Landkreises Darmstadt-Dieburg und seinen Städten und Gemeinden nach der Kommunalwahl 2016" ist kostenlos in den Kreishäusern in Darmstadt und Dieburg zu haben.
Im Internet steht die Broschüre zum Download bereit unter www.ladadi.de unter den Reitern "Gesellschaft" dann "Frauen und Chancengleichheit" dann "Arbeitsschwerpunkte". (jah)
Kinder, Beruf, Parlament? Dass tatsächlich viele Frauen davor Angst haben, all das nicht unter einen Hut zu kriegen, hat auch Politologin Anne Marquardt herausgefunden, die in ihrer Bachelorarbeit an der TU Darmstadt nach den Gründen für das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in den Kommunalparlamenten des Landkreises gesucht hat. "Mit einem Vollzeitjob jedenfalls ginge es nicht", sagt auch Astrid Geiß.
Modautal ist im Landkreis die positive Ausnahme
Auch wenn sie sich Verstärkung beim "weiblichen Blickwinkel" innerhalb ihrer Fraktion wünschen würde, gegen eine Frauenquote ist sie ganz strikt. Mit einem solchen "Paritätsgesetz" versucht Frankreich etwa, seine Parlamente gerecht zwischen Männern und Frauen zu besetzen. Beide müssen auf den Wahllisten stehen, immer abwechselnd. Das Hessische Kommunalwahlgesetz empfiehlt seit 2016 genau das. Allerdings ist es kein Muss, wie in Frankreich, sondern nur ein "nice to have".
Die Gemeinde Modautal ist im Kreis eine positive Ausnahme beim Frauenanteil - vielleicht genau deswegen. Dort haben die Parteien die meisten Frauen auf ihre Listen für die vergangene Kommunalwahl gesetzt, nämlich tatsächlich fast die Hälfte (47,8 Prozent). Und dort landet das Parlament nun - nachdem die Wähler durch Kumulieren und Panaschieren mitgemischt haben - auch nach Griesheim auf Platz Zwei derer mit dem höchsten Frauenanteil (43,5 Prozent). Bei der CDU haben fünf der elf Mandate Frauen, bei der SPD drei von acht und bei den Grünen zwei von vier. "Uns war es wichtig, immer abwechselnd Frauen und Männer zu nominieren", sagt Maria Jansen, die Chefin der Modautaler SPD. Warum? "Es ist so wichtig, dass wir gehört werden und Ideen einbringen", sagt die 38-Jährige. Trotzdem sei es schwieriger gewesen, die weibliche Besetzung der Liste zu finden, berichtet sie und führt vor allem die Familie als Grund an. Doch nun, ein Jahr nach der Wahl, ist Maria Jansen sicher: "Das Ergebnis dieser Liste ist gut geworden."