Alle haben mitgemacht: Deshalb ist ihnen die Skulptur „Odyssee“ ans Herz gewachsen, die jetzt an verschiedenen Orten in Deutschland ausgestellt wird. Foto: Tamim Masood
( Foto: Tamim Masood)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT-DIEBURG/KASSEL - Tausende handgeschmiedeter Nägel halten drei schwere Holzteile als Floß zusammen. Für den Habitzheimer Künstler Georg Friedrich Wolf ist es das Sinnbild für das, was Hunderttausende Flüchtlinge in den vergangenen Jahren auf ihrem Weg nach Europa durchgemacht haben. Das Kunstwerk mit dem Namen „Odyssee“ will Wolf an Homers Dichtung erinnern: Als ein Synonym für eine nicht enden wollende Irrfahrt.
Rund 100 Flüchtlinge haben an der Skulptur mitgearbeitet. Darunter Tamim Massod. Mit anderen Geflüchteten hat der 23-jährige Afghane während eines Praktikums in Wolfs Werkstatt auf dem Hofgut Habitzheim unter Anleitung die Stahlnägel geschmiedet.
Schönheit und Kraft menschlicher Brüderlichkeit
„Wir kannten damals niemanden, nur die Nachbarn“, betont der junge Afghane. Doch mit dem Praktikum habe er „das Sprechen besser gelernt“ und viele neue Kontakte geknüpft, erzählt Masood, der mit seinen Geschwistern Fawad (25) und Fawzia (35) nach Deutschland kam.
Mit diesem Werk will Wolf der Flüchtlingstragödie „gemeinsam Erlebtes“ entgegen setzen. „Sie trägt die Schönheit und Kraft menschlicher Brüderlichkeit in sich“, sagt Wolf. Die Skulptur strahle die Energie aus, die jene Arbeiter durch die harten Monate brachte, trage aber auch die Schwere der Verzweiflung, Ängste und Sorgen in sich.
Wie die Flüchtlinge, wandert die tonnenschwere und mehrere Meter hohe Odyssee jetzt selbst von Ort zu Ort: Erst war sie in Habitzheim zu sehen, dann am „Haus der Kulturen der Welt“ gegenüber dem Kanzleramt in Berlin und jetzt in der Documenta-Halle in Kassel.
Dort haben etwa 35 Flüchtlinge, die an ihrer Herstellung beteiligt waren, das Kunstwerk besucht. „Wir haben nicht gedacht, dass wir so große Kunst machen“, sagt Fawad Masood. Es sei richtig toll, dass die Skulptur jetzt in Kassel steht und sie eine gemeinsame Busfahrt dorthin unternehmen konnten. Die „Odyssee“ wird innerhalb der Ausstellung „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“ gezeigt. Die Schau ist Teil eines Projektes zur Demokratieförderung der Diakonie Deutschland.
Christine Schmutzler und Josefa Wehlage vom Asylkreis Otzberg freuen sich auch über den neuen Standort der Skulptur. Sie haben die Syrer, Äthiopier, Afghanen und Iraker, die an der Odyssee beteiligt waren, von Anfang an begleitet. „Christine hat uns seit unserer Ankunft geholfen. Sie sagte uns, dass wir immer zu ihr kommen können, von morgens bis in die Nacht“, erzählt Tamim Masood.
Den beteiligten Flüchtlingen steht die Freude, dass sie durch ihre Mitarbeit Teil der Schau sind, ins Gesicht geschrieben. Stolz sind sie auch über ihre Porträts, beeindruckende Fotografien von Esra Rotthoff, die ebenfalls in der weitläufigen Dokumenta-Halle zu sehen sind. Zudem ist eine Filmdokumentation von Jeanny Gering über die Arbeit in Habitzheim, zu sehen.
Weil Tamim Masood von Anfang an ein bisschen besser Deutsch als die anderen sprach, half er beim Dolmetschen. „Es war eine so super Zeit, die wird nicht wiederkommen.“ Einigen Flüchtlingen hat die Arbeit geholfen, sie haben einen Ausbildungsplatz ergattert. Das Projekt ist zwar zuende, doch die Odyssee lebt: Die Schau ist als Wanderausstellung konzipiert und erteilt eine künstlerische Absage an Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, an Ideologien von angeblicher Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschen.