Stadtverordnete haben in ihrer jüngsten Sitzung mehrheitlich grünes Licht für Live-Übertragungen und Video-Aufzeichnungen von Stadtverordnetenversammlungen und ausgewählten Ausschusssitzungen gegeben. Viele Datenschutz-Fragen sind noch zu klären. Die Grünen stimmten einheitlich dagegen.
ÄNDERUNG DER HAUPTSATZUNG
(re). Eine Änderung der Dieburger Hauptsatzung – das Dieburger Grundgesetz quasi – ist Voraussetzung für das Projekt. Ob in öffentlichen Sitzungen Ton- und Filmaufnahmen laut Hauptsatzung zulässig sind, regelt die Hessische Gemeindeordnung (HGO) in § 52 Abs. 3. Die Änderung bedarf der Zustimmung der Mehrheit der Stadtverordneten. Zudem ist eine Änderung der Geschäftsordnung für die Stadtverordnetenversammlung und die Ausschüsse erforderlich. Dieburgs Bürgermeister Frank Haus (parteilos) zufolge wird die Änderung der Hauptsatzung der Stadt gerade in die Wege geleitet und soll in der Juni-Sitzung des Parlaments auf der Tagesordnung stehen.
DIEBURG - Im Internet gibt es ja wirklich alles, aber die Dieburger Lokalpolitik ist dort nicht zu verfolgen. Das soll nun anders werden: Die Stadtverordneten haben in ihrer jüngsten Sitzung mehrheitlich für das sogenannte Parlaments-TV gestimmt. Heißt: In Dieburg soll es – als erster Stadt im Landkreis – Live-Übertragungen und Video-Aufzeichnungen von Stadtverordnetenversammlungen und ausgewählten Ausschusssitzungen geben. Ein entsprechendes Konzept hatte die Stadtverwaltung nach einem Auftrag des Haupt- und Finanzausschusses erstellt.
Die Kosten des Projekts belaufen sich auf etwa 20 000 Euro im Jahr, knapp 12 000 Euro für 13 Stadtverordnetensitzungen und gut 8 000 Euro für zehn Ausschusssitzungen. Darin enthalten ist ein sogenanntes Komplettpaket mit Livestream, Archiv und Videomagazin.
Eine Reihe datenschutzrechtlicher Fragen muss geklärt werden. So müssen die Lokalpolitiker zum Beispiel eine Einverständniserklärung unterzeichnen, in der sie den Filmaufnahmen zustimmen. Redner, die dies nicht wollen, dürfen auch nicht gefilmt werden. Hintergrund: Oberbürgermeister größerer Städte oder Stadtverordnetenvorsteher zum Beispiel gelten laut Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG oder KUG) als „Personen der Zeitgeschichte“. Dies gestattet Bild- und Tonaufnahmen von ihnen. Die einzelnen Stadtverordneten fallen jedoch nicht in diese Kategorie.
Auch externe Redner müssen im Vorfeld einer Sitzung eine Einverständniserklärung unterzeichnen. Darin geben sie an, ob sie und ihre gesamte Präsentation gefilmt werden dürfen. Eventuell müssen ihre Beiträge und Präsentationen ausgeblendet werden.
Weitere Datenschutz-Vorgaben unter anderem: Am Eingang muss ein Schild die Gäste im Sitzungssaal „gut sichtbar“ über den Livestream informieren. Gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) muss dieses Schild auch auf Folgendes hinweisen: Archivierung, rechtliche Grundlage, Speicherung und Speicherdauer, Veröffentlichung im Internet samt zugehöriger Plattformen, Rechte der Betroffenen und Ansprechpartner für die Wahrung von Persönlichkeitsrechten.
Nicht alle Dieburger Stadtverordneten sind damit einverstanden: Die Grünen stimmten geschlossen dagegen. Bei der SPD votierte in der namentlichen Abstimmung Rolf Netzlaff mit Nein, bei der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWD) Erik Marx. Aus den Reihen der CDU enthielt sich Dr. Gerald Grohe. Alle anderen stimmten fürs Parlaments-TV. Sie versprechen sich davon, den Bürgern politische Entscheidungen und Diskussionen günstig zugänglich zu machen.
Dr. Helena Schwaßmann von den Grünen kritisierte vor allem: „Die Speicherung und die Weitergabe der Aufnahmen an andere Anbieter ist inakzeptabel. Das Kapital des Anbieters ist sein Archiv.“ Zudem fürchtet sie, Livestreams von Sitzungen könnten die klassische Presseberichterstattung ablösen, in der komplexe Sachverhalten verständlich geschildert würden. „Dann haben wir das Niveau der Sozialen Medien“, so Schwaßmann. Ihre Parteikollegin Gerhild Krause meinte, andere Städte hätten zwar auch Parlaments-TV, dort würden die Aufnahmen aber nicht gespeichert.
Klaus Thomas, Fraktionsvorsitzender der UWD, sagte dagegen, man lebe in „einem neuen Zeitalter der Medien“, und sein FDP-Kollege Benjamin Koch glaubt fest daran, „dass das in fünf Jahren der Standard ist“.
Für die Umsetzung des Parlaments-TV soll die Stadt einen Rahmenvertrag mit der Firma ptv.medienkompetenz Film und Medien e.K. abschließen. Die im Jahr 2021 gegründete Einzelunternehmer-Firma aus Maintal im Main-Kinzig-Kreis hat im Internet keinen eigenen Auftritt, und es findet sich auch keine Telefonnummer von ihr. Sie betreibt jedoch mit der unter gleicher Postadresse firmierenden Trickfilmkinder GmbH die Internetadresse www.parlamentsfernsehen-hessen.de.
Begleitend soll es ein „Medienkompetenzprojekt“ für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene geben, um deren Interesse an Politik zu steigern.