Urteilsspruch im Mörlenbacher Mordprozess um Familiendrama
Das Darmstädter Landgericht hat im Mörlenbacher Mordprozess den Vater der getöteten Kinder zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Mutter muss zwölf Jahre hinter Gitter.
Von Marc Wickel
Der angeklagte Vater der beiden getöteten Kinder im Gerichtssaal. Archivfoto: Sascha Lotz
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DARMSTADT/MÖRLENBACH - Manchmal schließt sich ein Kreis. Wagner, genauer "Apfelwein Wagner" heißt die Frankfurter Gaststätte, in der die Mörlenbacher Zahnarztfamilie - Vater, Mutter und zwei Kinder - am 30. August 2018 ihren letzten Nachmittag verbrachte. Am Morgen des 31. August lagen der Junge (13) und das Mädchen (10) erschlagen, erstochen und verbrannt in ihren Betten. Wagner, Volker Wagner, heißt der Vorsitzende Richter, der am Mittwoch am Darmstädter Landgericht das Urteil nach elf Verhandlungstagen im Mordprozess verkündete.
Es lautet: lebenslang Gefängnis mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld für den geständigen Vater (59) wegen zweifachen Mordes und Brandstiftung. Zwölf Jahre Gefängnis für die Mutter (47) wegen Beihilfe zum Mord und zur Brandstiftung. "Die Kinder würden noch leben, ohne ihren Vater", sagte der Richter bei der Urteilsverkündung. "Und sie sind tot - durch ihren Vater und ihre Mutter." Beide Angeklagten hörten regungslos und nach unten blickend zu. Nichts anzumerken war in dem Moment auch den Eltern der Angeklagten, die Zuschauer am Landgericht waren.
Schlafmittel hatte laut Gericht keinen Einfluss
Mit dem Urteil folgte das Gericht eher der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslange Freiheitsstrafe für beide und auch die besondere Schwere der Schuld gesehen hatte. Der Verteidiger der Frau hatte auf Freispruch plädiert, weil sie während der Morde nach eigener Aussage nicht anwesend war und davon überrascht worden sei. Der Anwalt des Angeklagten hatte wegen des Einflusses von Schlafmittel auf eine mehrjährige Haftstrafe für den Vater plädiert.
RÜCKBLICK
Am 31. August 2018 hat die örtliche Feuerwehr in einem teilweise brennenden Haus im Mörlenbacher Ortsteil Bettenbach zwei tote Kinder gefunden. Die Eltern konnten aus der Garage gerettet werden - das Paar saß benebelt von Schlaftabletten in einem Auto mit laufenden Motor.
Die Staatsanwaltschaft beantragte noch am gleichen Tag Untersuchungshaft für die Eltern und sprach von einem "Familiendrama aufgrund massiver finanzieller Probleme"Der Prozess am Landgericht Darmstadt gegen das Ärztepaar hat sich über die vergangenen Monate gezogen (mawi)
Dem folgte die Kammer jedoch nicht. Komplexe Handlungen unter Benzodiazepinen seien "ausgeschlossen", sagte der Vorsitzende Richter Volker Wagner und erinnerte in diesem Zusammenhang an Hammerschläge, Stiche in die Hälse sowie Herzen, das anschließende Benzinverteilen und Feuerlegen.
Während der Urteilsbegründung blickte der Vater den Richter einmal kurz an. Ansonsten schaute er, die Hände vor sich zusammengelegt, auf seinen Tisch. Die Mutter, die schmaler wirkte als auf Fotos von 2016, verfolgte die Begründung ebenfalls ohne Regung im Gesicht, die Augen fast geschlossen und auf den Tisch blickend, anfangs den Kopf auf die Faust aufgestützt, später waren ihre Arme verschränkt oder im Schoß.
Menschen, die den Angeklagten kannten, hatten ihn als "von oben herab" und materialistisch - großes Haus, mehrere Sportwagen, Motorboot, 2800 Paar Schuhe für die Ehefrau - beschrieben. Gut ausgekommen war der viele Jahre wirtschaftlich sehr erfolgreiche Kieferchirurg mit einem Nachbarn, der Unternehmer ist. Der Angeklagte empfand die Beschreibung "Egomane" des psychiatrischen Gutachters für seine Person als treffend.
Das Gericht erinnerte zur Beihilfe der angeklagten Mutter an eine ihrer Aussagen im Gefängnis. "Der Deal zwischen mir und meinem Mann war eigentlich, dass wir entweder alle sterben oder keiner", hatte sie einer Bediensteten gesagt. Das andere Indiz war ein Zettel in einem Rucksack, den sie in den Morgenstunden bei den Nachbarn abgestellt hatte. Die Schildkröten seien noch draußen, hatte die Angeklagte auf den Zettel geschrieben. Das mache nur Sinn, wenn es den "wir bringen uns um"-Plan gegeben habe, sagte der Richter. Nicht überzeugt war das Gericht davon, dass die Angeklagte selbst getötet habe. "Dass die Mutter das tat, konnten wir nicht finden", so Richter Volker Wagner.
Familienvater projiziert Vorstellungen auf Frau
"Intelligenz steht archaischem Verhalten nicht entgegen", sagte der Richter zum Motiv des Angeklagten. Die Familie war insolvent. Das zwangsversteigerte Haus wäre am Tattag um 8 Uhr für die neuen Besitzer geräumt worden. Das Paar wollte nicht raus, hatte aber keine juristischen Mittel mehr. Und keinen Plan B, wie die beiden am Abend des 30. August bei Dosenbier feststellten. "Der Tatentschluss kam von ihm", sagte Richter Wagner. "Typisch für einen Narzissten hat der Angeklagte seine Vorstellungen auf seine Frau projiziert." Sie sei, wie auch bei seinem Schuh-Faible, "folgsam" gewesen, weil sie nicht gewusst habe, wie sie aus der schwierigen Situation herauskommen sollte.
Die Verteidiger des Ärzte-Ehepaares haben angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen.