Die Stadt sieht sich weiterhin als eigenständiges Mittelzentrum. Wiesbaden hat im Landesentwicklungsplan etwas anderes vor. Das hätte finanzielle Auswirkungen.
Von Andre Heuwinkel
Lokalredakteur Darmstadt
Das Ende des Mittelzentrums für Lampertheim? Geht es nach dem Land Hessen, wäre ein Verbleib nur in einem Dreierbündnis mit Bürstadt und Lorsch möglich.
(Foto: Thorsten Gutschalk)
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LAMPERTHEIM - Es ist ein Papier, das die einige Kommunen im Ried aufgeschreckt hat: Die vierte Änderung zum Landesentwicklungsplan aus dem Wirtschaftsministerium und damit aus dem Hause Tarek Al-Wazirs (Grüne) sorgt über Stadt- und Parteigrenzen hinweg für Verwunderung. Auf fast 100 Seiten erläutert das Land darin seine Notwendigkeit, in der sogenannten Raumordnungspolitik Änderungen vorzunehmen, die über „kosmetische“ Eingriffe hinausgehen. Bürstadt, Lorsch und zuletzt auch Lampertheim fürchten um negative Folgen, sollte der Entwurf tatsächlich so umgesetzt werden. Warum hat es der Entwurf aus Sicht einer Kommunen aber in sich? Ein Überblick.
Welche Funktion hat ein Landesentwicklunsgplan (LEP) und warum muss er geändert werden?
Schon das Grundgesetz fordert als das Ziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“, weshalb es den Ländern und untergeordneten Gebietskörperschaften obliegt, soziale, wirtschaftliche und ökologische Funktionen „in Einklang zu bringen“, wie es in dem Entwurf heißt. Dieser eher abstrakte Absatz meint, wie Städte und Gemeinden am ehesten die Grundversorgung der Bürger – etwa in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, Naturschutz, Handel, Energie- oder demografiefester Politik – gewährleisten können und welchen raumordnerischen Rahmen sie dazu benötigen.
In den Landesentwicklungsplänen gibt es hierfür das System der „zentralen Orte“. Welche Funktionalität hat eine Gemeinde oder ein Gemeindeverbund im Hinblick auf die vorgenannte Daseinsvorsorge. Da sich in diesen Bereichen ständig Änderungen ergeben (Bevölkerungsentwicklung, wirtschaftlich, Gesundheitswesen etc.) sei aus Sicht Wiesbadens eine Anpassung notwendig.
WIE ES WEITERGEHT
Die Stadt Lampertheim bittet, die beanstandeten Punkte erneut zu prüfen und zu korrigieren. Stellungnahmen zum LEP-Entwurf sind bis zum 26. Juni möglich und können beim Landesministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen eingereicht werden. (aheu)
Wie wird dies technisch umgesetzt?
Der LEP ist eines der wichtigsten Instrumente der Landesplanung und gibt den Geist der darunter hierarchisierten Regionalpläne vor. Im Falle Lampertheims ist dies der Regionalplan Südhessen des RP Darmstadt. Der regionale Flächennutzungsplan ist ein wesentlicher Bestandteil. All diese Werke haben beispielsweise Auswirkungen darauf, wie Siedlungsentwicklung vonstatten geht, die Breitbandversorgung forciert wird oder wo Vorrangflächen für Windräder definiert sind.
Orte sind im LEP in „Zentren“ gegliedert. Lampertheim zählte bisher zu den „Mittelzentren“, die zwischen den „Oberzentren“ (Beispiel Frankfurt, Darmstadt) und „Grundzentren“ rangieren. Mittelzentren müssen demnach „übergemeindliche Aufgaben der Daseinsvorsorge langfristig und flächendeckend“ erfüllen. Geht es nach den Plänen aus dem Wirtschaftsministerium, würde Lampertheim diese Funktion künftig nicht mehr eigenständig, sondern nur noch im Verbund mit Lorsch und Bürstadt können. Sonst rutscht die Stadt als „Grundzentrum“ ab.
Warum stören sich Politik und Verwaltung daran?
Ein Grund ist die finanzielle Ausstattung. Ein Mittelzentrum erhält mehr Mittel aus dem Kommunalen Finanzausgleich als ein Grundzentrum. Dies ist als Quasi-Entschädigung zu verstehen, da Mittelzentren für umliegende kleinere Kommunen Aufgaben erfüllen. Diese Aufgaben können etwa Bildungsangebote (weiterführende Schulen, Volkshochschule, Gesundheitsversorgung (Krankenhaus, Fachärzte), Einzelhandelsmöglichkeiten, Verwaltungsbehörden, den Verkehr oder die Attraktivität als Arbeitsstandort sein. Laut Stadtsprecher Christian Pfeiffer geht es im Falle Lampertheims um rund 3 Milionen Euro. In der Stadtverordnetenversammlung sahen die Fraktionen in Übereinstimmung mit der Verwaltung diese Bereiche entweder nicht genügend gewürdigt oder gar falsch abgebildet. „Wir werden als etwas dargestellt, was wir gar nicht sind“, monierte etwa CDU-Chef Franz Korb.
Was wird konkret bemängelt?
Drei Beispiele: Die Bevölkerungsprognose geht davon aus, dass der Kreis Bergstraße (aktuell rund 270 000 Einwohner) im Jahr 2035 über 6000 Einwohner weniger hätte. Auch Lampertheim würde an Einwohnern verlieren. Bürgermeister Gottfried Störmer (parteilos) sowie die Fraktionen halten die Parameter, die abbilden sollen, wo die Stadt im Vergleich mit anderen Kommunen steht, zum Teil für nicht nachvollziehbar. Die Auswahl der Indikatoren sei „fraglich“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Außerdem wird die landesplanerische Zulassung des Neubaugebiets „Gleisdreieck“ vermisst. Dieses soll im Idealfall Platz für etwa 900 zusätzliche Einwohner bieten.
Ist die Kritik berechtigt?
Es gibt einige nachvollziehbare Punkte. Der „Wegweiser Kommune“ der Bertelsmann-Stiftung sieht in Lampertheim eine „stabile Mittelstadt“. Solche Städte sind unter anderem durch Bevölkerungszuwachs gekennzeichnet (zumindest bis 2030). Als VHS-, Krankenhaus-,Gerichts und Facharztstandort hat Lampertheim zudem eine übergeordnete Funktionalität.
Auch die Polizeistation Lampertheim-Viernheim ist hier angesiedelt, ebenso Dienststellen des Kreises (Jugendhilfe, Lebensberatung), der der Diakonie beziehungsweise Caritas. Auch verkehrlich sei die Stadt gut angebunden. Allerdings ist Lampertheim als Arbeitsstandort nicht so attraktiv wie andere Städte vergleichbarer Größe. Viernheim und vor allem Bensheim haben wesentlich mehr Beschäftigte. Auch hat Lampertheim laut Gemeindesteckbrief der Industrie- und Handelskammer Darmstadt fast doppelt so viele Aus- wie Einpendler. Heppenheim und Bensheim dagegen haben mehr Ein- als Auspendler vorzuweisen.