Nächstes Kapitel des Reisetagebuchs: Nach 672 Kilometern Fußmarsch suchen Lilian Seuberling, Stephan Meurisch und die kleine Mirinda in Italien einen Ort zum Überwintern.
Von Lilian Seuberling
Lilian Seuberling, Stephan Meurisch und die kleine Mirinda sind vorerst in der italienischen Provinz Umbrien gestrandet.
(Foto: Lilian Seuberling)
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WALD-ERLENBACH - Am 31. August machten sich Stephan Meurisch, Lilian Seuberling und das gemeinsame, damals sechs Monate alte Baby Mirinda im Heppenheimer Stadtteil Wald-Erlenbach auf den Weg nach Peru – zu Fuß (wir berichteten). In loser Reihenfolge schildert die junge Familie nun in Form eines Reisetagebuchs im Lokalteil dieser Zeitung ihre Erlebnisse und Erfahrungen.
Wir haben uns getrennt von der bisherigen Reiseform. Nach 672 Kilometern des täglichen Laufens haben wir uns auf die Suche nach Orten begeben, an denen wir überwintern können. Zunächst ist ein Aufenthalt bei einer Olivenernte in Italien geplant. Mit dem Nachtzug lassen wir deshalb Frankreich hinter uns.
Der Wechsel ist schnell, mir fehlt das langsame Wahrnehmen der Veränderung. Während sich in Frankreich der Beginn des Herbstes erst abzeichnete, steht in Italien schon alles in feuerrot-orangenem Kleide.
Es ist ein Sprung – und manchmal braucht es genau den. Der Absprung von Umbrien gestaltet sich jedoch schwieriger. Denn es ist nicht nur der Herbst, der Gelb-, Orange- und Rottöne hervorbringt, sondern auch ein – infolge der unterschiedlichen Corona-Fallzahlen – in Farbzonen eingeteiltes Italien, das uns zu schaffen macht.
Die Olivenernte ist nach drei Wochen abgeschlossen, und Umbrien wechselt auf der Corona-Ampel von Gelb zu Orange. Dies bedeutet stärkere Einschränkungen – auch für uns. Einfach loslaufen funktioniert in der derzeitigen Situation nicht, und wir telefonieren mit verschiedenen Gemeinschaften. Diese nehmen aufgrund von Corona jedoch entweder keine Leute auf – oder haben schon genug freiwillige Helfende. Es erinnert an das Spiel „die Reise nach Jerusalem“, bei dem die Musik ausgeht und schnell ein Platz gefunden werden muss. Genauso fühle ich mich.
Ein Projekt in Sizilien, was unser Favorit ist, sagt zu. Nachdem wir den Zug schon gebucht haben, bekommen wir noch eine weitere Zusage aus Umbrien von einer seit den 80ern bestehenden Gemeinschaft. Die Rucksäcke sind gepackt, die Zugtickets nach vielen Stunden der Auseinandersetzung mit den Regularien gekauft, denn wie unsere Forschungen ergeben haben, ist die Fortbewegung aus Arbeitszwecken noch gestattet und die Zusage für die Mitarbeit bei einer NGO ist uns sicher.
Eigentlich säßen wir jetzt in Sizilien. Eigentlich wären wir 16 Stunden mit dem Zug unterwegs gewesen. Eigentlich ist ein Wort, das bedeutet, dass noch etwas anderes da ist!
Das andere ist: Wir sind noch immer in Umbrien – nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, bei dem wir bei der Olivenernte halfen.
Denn früh morgens endete unsere Reise nach Sizilien auch schon wieder, nachdem wir nur einige Schritte zur Bushaltestelle gelaufen waren.
Denn dort hielten uns erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier Polizisten von der Weiterreise ab, die jedoch auch keine Ahnung hatten, was sie mit uns Deutschen mit Baby jetzt anfangen sollen. Mitarbeit in Tausch gegen Unterkunft und Verpflegung, Arbeit in einem sozialen Projekt – ohne Vertrag: Non e possible.
Der zweite Bus, mit dem wir unseren Zug noch hätten erreichen können, war mittlerweile schon längst weg. Und mit einem gesalzenen Strafzettel, bei dem uns einer der Polizisten erklärte, dass wir ihn als Deutsche nicht zahlen müssten, gab es für uns die Wahl: Uns an diesem Tag innerhalb Umbriens fortzubewegen – oder nach Deutschland zurückzukehren.
Sicherlich wollte die Polizei uns und andere schützen. Fakt ist aber: Wir waren drei Wochen an einem Ort mit den gleichen Menschen und sind es jetzt wieder. Vier Polizisten in so geringer räumlicher Distanz war das Naheste, was wir seit Wochen erlebt haben!
Die andere Zusage zum Glück noch in der Hinterhand, machten wir uns auf den Weg innerhalb Umbriens, durch eine Geisterstadt, einen Geisterbus. Während bei unserer Ankunft noch viele mit Masken in den Straßen umherliefen, sind diese nun fast menschenleer, nur auf dem Schulhof sieht man noch einige Kinder spielen. Wir sind froh, als wir einige Stunden später wieder inmitten der Natur sind, einige Berge weiter, Umbrien hat uns noch.
Und doch ist es diesmal anders. Der Teil-Lockdown, verbunden mit dem Wissen, dass wir nicht einfach weiter gehen können, lässt mich eng fühlen – trotz weiter Sicht über die Berge.