Unterschiedliche Zeugenaussagen rund um Mörlenbacher Familiendrama
Schilderungen der an der Rettung Beteiligten unterscheiden sich zum Teil. Expertin findet das jedoch nicht ungewöhnlich.
Von Marc Wickel
Mitarbeiter der Spurensicherung stehen vor einer Garage des Einfamilienhauses, in dem zwei Kinder sterben mussten. Foto: Silas Stein/dpa
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT/MÖRLENBACH - Darmstadt/Mörlenbach. Zeugenaussagen vor Gericht sind manchmal widersprüchlich - trotzdem lügt keiner. Aktuell fallen beim Prozess um die ermordeten Kinder in Mörlenbach Aussagen auf, in denen es um die Auffindesituation der angeklagten Eltern geht. Der 59 Jahre alte Vater - der behauptet, alleine seine Kinder getötet und das Haus angezündet zu haben - und seine 46 Jahre alte Frau hatten Schlaftabletten genommen und sich anschließend mit Abgasen in der Garage zu vergiften versucht. Sie konnten aber gerettet werden.
Als die Garage des Hauses im Ortsteil Bettenbach geöffnet wurde, habe er "Abgase extrem gerochen", hatte ein Feuerwehrmann am Darmstädter Landgericht ausgesagt. Eine Polizeikommissaranwärterin sagte hingegen: "Geruch habe ich gar nicht wahrgenommen." Nichts gerochen haben will auch einer der Notärzte. Eine Polizistin schilderte am vergangenen Verhandlungstag, dass bei den Feuerwehrleuten Kohlenmonoxidwarner angeschlagen hätten. Dabei hatten Feuerwehrleute zwei Verhandlungstage zuvor erklärt, solche Warner nicht dabei gehabt zu haben.
Ähnliche Unterschiede gibt es bei den Schilderungen zum Zustand der beiden Zahnärzte als sie aus dem Auto geholt wurden. "Es sind beide rausgelaufen", berichtete ein Notarzt, dann habe man sie auf Tragen gelegt. "Die Frau hat sich nicht bewegt", sagte hingegen der Schlosser, der an besagtem 31. August 2018 das Haus für die Einsatzkräfte geöffnet hatte. Zwei Feuerwehrleute beschrieben, dass die 46-Jährige, die auf dem Beifahrersitz saß, noch zum Rettungswagen laufen konnte, allerdings ein Feuerwehrmann sie stützen musste.
Die zwei Feuerwehrleute hatten weiter ausgesagt, dass man den VW Golf aus der Garage geschoben habe, weil man so leichter den zirka 160 Kilogramm wiegenden Familienvater aus dem Auto holen konnte. "Der Angeklagte war zwar halbwegs wach", so einer der Notärzte, "aber nicht kommunikationsfähig". Die Frau habe dann im Notarztwagen gesagt, dass sie seit halb drei Uhr nachts bei laufendem Motor und geschlossener Garage im Auto gesessen hätten.
Für die Diplom-Psychologin Katrin Streich von dem Darmstädter "Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement" sind widersprüchliche Zeugenaussagen allerdings nichts Ungewöhnliches. Sie hat als Polizeipsychologin und Profilerin gearbeitet. Katrin Streich geht nicht davon aus, dass einer der Zeugen gelogen hat - die Erinnerungen seien jedoch verfälscht. "Wahrnehmung, Gedächtnis und Abruf sind maximal fehleranfällig", sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung.
Einfluss habe beispielsweise, wie emotional eine Sequenz sei. "Da kann sich die Wahrnehmung verschieben", erklärt die Psychologin. "Man konzentriert sich auf den Kern und an der Peripherie fehlt es dann." Und dass die Lage in Mörlenbach mit einem toten 13-Jährigen und seiner ebenfalls toten zehn Jahre alten Schwester hochemotional gewesen sei, liege im Grunde genommen sehr nah.
"Die Wortwahl bei der Fragestellung kann die Antwort auch beeinflussen", nennt Katrin Streich einen weiteren Faktor. Die Frage könne eine Information enthalten, die bei der Antwort dann unbewusst berücksichtigt werde. "Menschen wollen mithelfen", erklärt sie, "Menschen wollen aber auch gefallen."
Gehirn füllt Erinnerungen mitunter unbewusst auf
Ebenfalls zur Verfälschung der Erinnerung trage bei, wenn man das Erlebte durchdenke und anderen erzähle, sagt Psychologin Katrin Streich. "Durch das wieder erleben und erzählen verändert sich letztlich auch die Erinnerung." Das könne unter Umständen sogar so weit gehen, dass Menschen schließlich eine nicht erlebte Situation vor Augen hätten.
"Die Verfälschung verdanken wir unserem Gehirn", fasst es die Expertin zusammen. Das menschliche Gehirn strebe nach Logik und Konsistenz. "Deshalb werden Lücken manchmal ganz unbewusst aufgefüllt", so Katrin Streich abschließend.