Montag,
25.09.2017 - 23:02
3 min
Deutschland wie im Modell
Von Bernd Sterzelmaier

Hochburg der AfD: Das Burgstädtchen Lindenfels. Dort kam die Rechtspartei auf 16,3 Prozent der Erststimmen. Zum Vergleich: CDU 32,2 Prozent, SPD 22,5, Grüne 7,4, Linke 6,9, FDP 9,5. Foto: Sascha Lotz ( Foto: Sascha Lotz)
HEPPENHEIM - Es war 23.11 Uhr, als die Kreiswahlleiterin Gudrun Englert des Ergebnis aus dem Wahlkreis 188 an den Landeswahlleiter nach Wiesbaden meldete. Das war im Vergleich zu früheren Bundestagswahlen spät, doch damit waren die Bergsträßer immer noch die Siebtschnellsten unter den 22 hessischen Wahlkreisen. Besonders lange mussten Englert und ihre Mitarbeiter auf die letzten beiden der 251 Wahlbezirke warten, die dann aus Lorsch und aus Viernheim gemeldet wurden.
Allgemein wurden die Verzögerungen beim Auszählen der Stimmen auf die große Zahl der Briefwähler zurückgeführt. Das war abzusehen, weil dieser Anteil der Wähler von Wahl zu Wahl steigt. Trotzdem war es beispielsweise in der Gemeinde Lautertal versäumt worden, einen zusätzlichen Briefwahlbezirk zu bilden. Das wiederum hatte zur Folge, dass Andreas Heun (SPD) und seine Anhänger bis nach 23 Uhr warten mussten, bis sie jubeln konnten. Erst dann stand Heun als Gewinner der Bürgermeisterwahl fest.
Schwächen und Stärken in Städten und Gemeinden
Am Tag nach der Wahl wird im Vergleich der Ergebnisse aus den 22 Städten und Gemeinden bestätigt, dass der Kreis Bergstraße wie ein Muster für das gesamte Bundesgebiet angesehen werden kann: Starke Verluste von CDU und SPD, Gewinne der kleinen Parteien, wobei die Zuwächse von AfD und FDP besonders schwer wiegen.
LORSCH UND VIERNHEIM ZULETZT
Die 22 Städte und Gemeinden des Wahlkreises Bergstraße (188) sind in 251 Stimmbezirke eingeteilt. Weil um 23 Uhr aus jeweils einem Wahllokal in Viernheim und Lorsch noch kein Ergebnis vorlag, fehlten die Zahlen in der Wahltabelle. Zweitstimmen in Lorsch: CDU 36,9, SPD 21,2, Grüne 10,4, Linke 6,2, AfD 10,3, FDP 11,1. Wahlbeteiligung: 81,2 Prozent. Zweitstimmen in Viernheim: CDU 31,9, SPD 22,1, Grüne 7,5, Linke 6,5, AfD 15,3, FDP 12,3. Wahlbeteiligung: 73,7. (ai)
Die Schwächen und Stärken im Einzelnen: Mit 44,2 Prozent erzielten die Christdemokraten in der kleinsten Gemeinde Abtsteinach ihr bestes Zweitstimmenergebnis.
Das schlechteste CDU-Ergebnis kam mit 27,9 Prozent aus Groß-Rohrheim. Insofern ist es wenig überraschend, dass die SPD mit 28,9 Prozent in Groß-Rohrheim am besten abschnitt, in Abtsteinach mit 17,6 Prozent am schlechtesten. In der Addition der Ergebnisse für die beiden Volksparteien wird deutlich, dass viel Raum blieb für die kleineren Parteien. So kamen die Grünen in vier Städten (Bensheim, Heppenheim, Zwingenberg, Neckarsteinach) auf ein zweistelliges Ergebnis. Spitzenreiter ist Zwingenberg mit 12,5 Prozent. Interessanterweise erzielte auch die FDP in Zwingenberg mit 13,5 Prozent ihr bestes Zweitstimmenergebnis im Wahlkreis Bergstraße.
Das Ergebnis der Linken bewegt sich zwischen 4,2 Prozent (Abtsteinach) und 8,0 Prozent (Neckarsteinach). Im übertragenen Sinn kann bei der AfD von einem Höhenflug gesprochen werden. Die Partei, die bei der Kommunalwahl im Frühjahr 2016 im Kreis Bergstraße eines ihrer besten Ergebnisse in Hessen erzielte und trotz Spaltungstendenzen drittstärkste Kraft im Kreistag ist, blieb nur in wenigen Gemeinden im einstelligen Bereich. Hoch im zweistelligen Bereich liegen die AfD-Ergebnisse im Ried (Biblis 15,5, Bürstadt 15,4, Viernheim 15,3, Lampertheim 14,3), doch unübertroffen sind die 16,3 Prozent im Burgstädtchen Lindenfels. Bei der Betrachtung einzelner Stimmbezirke fällt das Wahllokal Astrid-Lindgren-Schule in Bürstadt-Bobstadt auf. Dort kam die AfD auf 21,5 Prozent der Stimmen.
Führende Politiker aus dem Kreis Bergstraße, die Parteien des 19. Deutschen Bundestag vertreten, bewerteten am Sonntagabend das Wahlergebnis aus ihrer Sicht. Am Montag folgte eine Erklärung von Matthias Schimpf und Evelyn Berg (Grüne), in der sie zunächst Till Mansmann (FDP) zum Bundestagsmandat gratulieren, bevor sie den engagierten Wahlkampf ihres Direktkandidaten Moritz Müller loben. Das Vorstandsduo zeigt sich besorgt über das Ergebnis der AfD. „Wir müssen uns auf kommunaler Ebene inhaltlich mit dieser Gruppierung auseinandersetzen und gleichzeitig den Menschen eine Politik anbieten, die sich nicht auf vermeintlich einfache Lösungen und populistische Schlagworte beschränkt“, so Berg und Schimpf.
Die AfD feierte unterdessen ihren Erfolg. „Unser Wahlerfolg hätte noch größer ausfallen können“, sagte Kreisvorsitzender Rolf Kahnt, „wenn manche Medien nicht monatelang mit unsachlichen Kampagnen den Ansehensverlust der AfD mit oft einseitiger und negativer Berichterstattung betrieben hätten“.
Am größten war wohl die Freude bei der FDP. Die größten Wahlpartys im Kreis Bergstraße gingen verständlicherweise nicht bei CDU oder SPD, sondern im Nebenzimmer des Heppenheimer Restaurants „Gossini“ (FDP), im Auerbacher Bahnhof (Grüne) und im Lampertheimer Gasthaus Zum Schwanen (AfD) über die Bühne.