Samstag,
22.06.2019 - 00:00
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Urne an Urne

Familiengräber sind aus der Mode gekommen. Wegen der zunehmenden Zahl der Feuerbestattungen werden vor allem Kammern in Urnenwänden nachgefragt. (Foto: Thorsten Gutschalk)
BÜRSTADT - Eine Bürstädter Familie musste sich vor wenigen Wochen von einem nahen Angehörigen verabschieden. Seine Urne sollte ins Grab seiner Eltern. Doch der Schock war groß, als die Familie erfuhr, dass die Laufzeit des Grabes bald endet und auch nicht verlängert werden kann. Die Urne konnte hier also keinen Platz finden. Schweren Herzens stimmte die Familie einem Platz in der Urnenwand zu. Genau diese Veränderung der Bestattungskultur ist der Grund, warum längere Laufzeiten zum Teil nicht möglich sind – und der Bürstädter Friedhof ein neues Gesicht erhält.
In der Antike gab es Feuer- und Erdbestattungen gleichermaßen, lediglich die Kelten legten ihre Toten nur in Hügelgräbern ab. Durch das sich ausbreitende Christentum gingen Feuerbestattungen zurück. Karl der Große verbot 786 die Verbrennung von Toten, die Erdbestattung war fortan Pflicht. Die leibliche Auferstehung der Toten ist sogar Teil des Glaubensbekenntnisses – denn schließlich wurde auch Christus nicht verbrannt, sondern zu Grabe gelegt. Das Heilige Offizium unter Papst Leo XIII. untersagte 1886 den Katholiken die Feuerbestattung. Katholiken, die testamentarisch ihre Verbrennung verfügt hatten, sollten keine kirchliche Begräbnisfeier und keinen Platz auf dem Kirchhof bekommen. 1917 wurde dies ins Kirchenrecht aufgenommen. Erst ab 1963 war die Feuerbestattung für Katholiken erlaubt. Empfohlen wird von der katholischen Kirche aber nach wie vor die Erdbestattung. Die evangelischen Kirchen tolerieren die Feuerbestattung schon seit ein paar Jahrzehnten. Im Judentum und im Islam ist diese allerdings verboten.
Angehörige leben oft auswärts, können Gräber nicht pflegen
Bürstadt gilt immer noch als katholisch geprägte Stadt. Doch genauso wie der Anteil der Katholiken in den letzten Jahren gesunken ist, hat sich auch die Bestattungskultur gewandelt. In den 1990er Jahren stellte die Stadt Bürstadt die ersten Urnenwände auf den Friedhöfen in der Kernstadt und in Bobstadt auf, nachdem die Nachfrage nach Feuerbestattungen gestiegen war. Damals gab es noch mehr Erd- als Feuerbestattungen. Inzwischen ist der Anteil der Urnengrabstätten in Bürstadt schon bei über 80 Prozent. Die Stadt will den Bürgern keine Vorschriften machen und hat daher schon rund 1000 Kammern in mehreren Urnenwänden geschaffen. „Früher war es üblich, Familiengräber zu kaufen, zum Teil sogar schon vor dem Tod. Und diese Gräber mussten dann auch sofort gepflegt werden“, erinnert sich Bürgermeisterin Barbara Schader. Doch die Friedhofskultur habe sich gewandelt, Angehörige können oder wollen keine Gräber mehr pflegen, auch weil sie oft gar nicht mehr vor Ort wohnen.
Im südlichen Teil des Bürstädter Friedhofs dominieren inzwischen die Urnenwände. Damit es schöner aussieht, hat man sie so angeordnet, dass Urnenhöfe entstanden. Mit einer begrünten, von den städtischen Friedhofsgärtnern gepflegten Mitte. Nördlich der Urnenwände verschwinden nach und nach Erdgrabstätten. Nahe der alten, großen Maulbeerbäume gibt es bereits Flächen ohne Gräber, die zu einem Rasenareal wurden. „In diesem Bereich laufen in den nächsten Jahren alle Verträge ab“, erklärt Standesamtsleiter Peter Jakob, der auch für die Friedhöfe zuständig ist. Einzelne Verlängerungen soll es nicht geben, damit eine zusammenhängende Freifläche entsteht. „Einen Rechtsanspruch auf eine Verlängerung gibt es nicht“, betont Jakob. Die Bürgermeisterin wirbt um Verständnis: „Der Friedhof soll einen parkähnlichen Charakter erhalten und damit eine höhere Aufenthaltsqualität bekommen. Hier ist ein Ort zum Trauern, aber auch ein Platz, an dem sich Angehörige treffen und sich austauschen können.“
Im Friedhofsteil nördlich der Mauer lässt sich sehen, wie es auch südlich davon aussehen könnte: Zwischen zwei Grabreihen ist Rasen, ein paar junge Linden stehen dort parallel angeordnet. „Wir wissen nicht, ob sich die Bestattungskultur wieder wandelt, aber wir gestalten den Friedhof so, dass wieder Erdbestattungen möglich werden – und dazwischen Bäume wachsen“, erklärt Peter Jakob. Die Bäume stehen nicht nur wegen der Optik, sondern weil an heißen Tagen Schattenspender benötigt werden.
Neben Urnengräbern und -kammern werden auch noch Rasengrabstätten nachgefragt. Diese und die Urnenbaumgrabstätte sind dem Park-Charakter gedeihlich. Sollten noch mehr Urnenkammern benötigt werden, will die Verwaltung diese auf den Rückseiten der bestehenden Wände schaffen. Peter Jakob ist sich aber sicher, dass nicht mehr allzu viele neue Kammern benötigt werden, denn nach und nach würden auch wieder welche frei. Die Bürgermeisterin betont, dass die Friedhöfe in ihrer Fläche erhalten blieben. Es werde keine Teilfläche entwidmet und etwa bebaut. „Wir machen keine Schnellschüsse. Wir müssen ja auch bedenken, dass die Einwohnerzahl Bürstadts noch immer steigt.“
Aus einem Friedhof voller Familiengräber ist ein Areal entstanden, das verschiedene Bestattungsformen beherbergt und so den kulturellen Wandel verdeutlicht, in dem wir uns befinden.