Nach einem Jahr Corona ist kaum jemandem nach Fasten zumute, aber die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist groß. Die Alzeyer Kirchen suchen Auswege – und schaffen Angebote.
ALZEY. Wer hätte gedacht, als im letzten Jahr wegen der Corona-Pandemie die Damensitzungen, Maskenbälle und Umzüge abgesagt werden mussten, dass auf die Fastnacht nicht nur sieben Fastenwochen folgen würden, sondern ein ganzes Fastenjahr!
Am 17. steht nun wieder ein Aschermittwoch bevor, aber an Einschränkungen, wie weniger Alkohol, weniger Süßigkeiten, weniger Autofahren, mag derzeit wohl kaum einer denken. „Das wäre auch absurd. Wir haben ein ganzes Jahr des Verzichts hinter uns“, sagt Thomas Lotz, seit anderthalb Jahren Pfarrer des Pfarrbezirks I der evangelischen Kirchengemeinde Alzey. Dabei hat er weniger materiellen Verzicht im Sinn, obwohl auch der mittlerweile schon vielen Menschen abverlangt wird, sondern den Verzicht auf Begegnung, auf gemeinsames Tun. Selbst die Konfirmanden hätten die digitalen Treffen längst satt. „Stattdessen haben wir viele Anfragen nach Gottesdiensten und Andachten, und daran halten wir auch fest. Gerade jetzt wollen wir präsent sein, und die Nikolaikirche ist ja auch groß genug.“
Nicht überall in den 68 Gemeinden des Dekanats Alzey-Wöllstein ist Präsenzgottesdienst aber derzeit möglich. Manche Kirche ist beispielsweise einfach zu klein dafür. Deshalb hat man ein ansprechendes, gemeinsames Programm für die sieben Wochen der Passions- und Osterzeit entwickelt. Das Motto lautet: „Hinfallen. Auferstehen. Krone richten. Einfach weitermachen?“ „Viele Menschen leiden sehr unter den mit Corona verbundenen Umständen“, erläutert Dekanin Susanne Schmuck-Schätzel. „Diese Ängste haben wir aufgenommen mit den biblischen Texten der Passionszeit, die von Schuld, Angst, Einsamkeit, Verrat, Freundschaft und Tod erzählen. Das meiste spiegelt sich in den Erlebnissen der vergangenen Monate wider.“
Ein handlicher, schön aufgemachter Flyer informiert über Aktionen via Zoom, orientiert an den Symbolen der Passionszeit – Tränen, Brot, Palmen, Hahn, Dornen, Kreuz, Garten und Stein – sowie über Möglichkeiten der direkten Teilnahme an Gottesdiensten in sieben Kirchen des Dekanats, meditativen Spaziergängen und mehr. Außerdem gibt es an bestimmten Wochentagen eine digitale Kaffeestunde, Talk und Austausch, Passion und Ostern in der Kirchenmusik und in der Literatur. Alle Termine und Zugangsdaten sind auch auf https://alzey-woellstein-evangelisch.ekhn.de zu finden.
Die katholische Pfarrgruppe Alzeyer Hügelland hat sich ebenfalls auf die schwierigen Bedingungen eingestellt. Die St. Josephskirche in Alzey ist so groß und günstig geschnitten, dass dort Präsenzgottesdienste mit mindestens 80 Personen gefeiert werden können. Problematisch aber wird das Abstandhalten, wenn es um die Eucharistie geht oder um das Auflegen des Aschenkreuzes am Aschermittwoch. Letzteres werden sich die Gläubigen in diesem Jahr selbst aufs Haupt streuen müssen. Auch auf Gesang muss nach wie vor verzichtet werden. Hier wurde in St. Joseph eine Lösung gefunden, die Pfarrer Wolfgang Bretz sogar als Gewinn beschreibt. Unter Leitung von Kantor Jürgen Kuntze singen vier Solisten mit kleiner Instrumentalbegleitung stellvertretend für die Gemeinde. „Man kann mehr hinhören, wenn man nicht selbst beteiligt ist“, sagt der Geistliche. „Das ist richtig meditativ.“ Für ihn bedeutet Fastenzeit weniger einen Verzicht auf bestimmte Dinge – „Das Speisefasten spielt schon seit Längerem keine größere Rolle mehr“ –, er sieht sie vielmehr als Möglichkeit der vertieften Gottesbegegnung, etwa durch die Teilnahme an den Psalm-Meditationen jeden Dienstag. „Auch die Predigten der Heiligen Woche bewegen sich auf dem Boden der schmerzlichen Erfahrungen und Herausforderungen dieser Zeit. In den Gottesdiensten erleben wir die Zusage Gottes, dass er unser Leben geteilt hat bis ins Dunkel. Daraus beziehen wir unsere Kraft und unsere Hoffnung.“
Was die Gestaltung der Ostertage betrifft, so kann niemand vorausschauen, wie sich die Pandemie entwickelt, welche Beschränkungen es noch geben wird. Für St. Joseph liegt schon ein Ausblick auf die Liturgien der Heiligen Woche und des Osterfestes unter Berücksichtigung aller Corona-Regeln vor.
Auch Pfarrer Thomas Lotz denkt schon über die Gestaltung der Ostertage nach. „Vielleicht streamen wir den Ostergottesdienst wieder“, sagt er. „Unser Weihnachtsgottesdienst ist sehr gut angekommen. Aber wenn irgend möglich, wollen wir zusammen im Freien feiern, denn die Menschen sehnen sich nach Begegnung.“