Vertrackte Liebe im Dreieck auf der Wartburg-Bühne

Emma (Sybille Weiser) beichtet Jerry (Tim Kramer) lange nach ihrer Affäre ein pikantes Detail. Foto: Karl & Monika Forster

Das Staatstheater Wiesbaden zeigt Harold Pinters „Betrogen“. Die Geschichte um Ehebruch unter Intellektuellen wirkt wie das Negativ einer Boulevardkomödie.

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WIESBADEN. Richtig herum erzählt, wäre diese Geschichte Stoff für ein Versteckspiel der Lüste: Literaturagent Jerry macht sich bei einer Party seines Verlegerfreunds im Bad betrunken an dessen Frau Emma heran. Daraus erwächst eine lange Affäre: sieben Jahre tarnen, täuschen, tricksen. Auf der Boulevard-Bühne würden da die Schlafzimmertüren heftig klappern. Harold Pinter (1930–2008) aber hat so etwas wie das Negativ solch einer Komödie geschrieben: „Betrogen“ spult die Geschichte chronologisch zurück. Es beginnt bei einem Wiedersehen von Jerry und Emma 1977 und endet 1968 mit ihrem ersten Kuss.

Ein bildungsbürgerliches Sittenbild

Der britische Literaturnobelpreisträger schuf vor 40 Jahren ein bildungsbürgerliches Sittenbild, in dem er auch eine eigene Langzeitaffäre verarbeitete. Matthias Schaller, Ausstattungsleiter am Wiesbadener Staatstheater, rückt das Stück als Regisseur in der Nebenspielstätte Wartburg heraus aus seiner Zeit: Die weiße Wohnlandschaft mit Tisch und Liegeecke ist zeitlos steril, die Schauspieler stehen darin – meist schwarz gekleidet (Kostüme: Julia Brülisauer) – wie Schachfiguren der Leidenschaften, die über 90 Minuten vom Matt zum ersten Zug zurückgeführt werden.

Schaller, der auch für die beiden anderen Wartburg-Produktionen der Premierenreihe „Vertrauen verloren“ die Bühne bereitet hat, nimmt den Kunstgriff der Vorlage auf, ohne die eigene Inszenierung zu verkünsteln. Abgesehen von eher entbehrlichen Videosequenzen zwischen den Szenen ist hier alles auf die Schauspieler konzentriert: Tim Kramer übernimmt als Jerry den tragikomischen Part. Als Trauzeuge des Verlegers, den er jahrelang hintergangen hat, schwelgt der Literaturagent in einem Freundschaftskult mit Robert. Als er am Anfang, der hier ja das Ende ist, erfährt, dass Emmas Mann jahrelang Bescheid wusste, fühlt sich der Betrüger selbst betrogen. Ironie der Heimlichtuerei im Zeitalter der sexuellen Freizügigkeit: Statt den klandestinen Koitus in eigens angemieteter Wohnung zu vollziehen, hätte das Trio auch gleich die offene Dreierbeziehung ausrufen können. Besser noch: die offene Fünferbeziehung, denn Jerrys Frau und ein ominöser Starautor, die beide nicht auftreten, scheinen auch ein Verhältnis zu haben.

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Sybille Weiser fällt im Figurendreieck als Galeristin der melodramatisch-melancholische Part zu: Emmas große Hoffnungen sind an Jerrys kleinlichen Bedenken gescheitert und auch daran, dass selbst eine abenteuerliche Affäre nach Jahren zur Routine wird, die man zwischen Ausstellungen und Auslandsreisen pragmatisch planen muss. Wie Sybille Weiser den Kopf in den Nacken wirft, die Nerven flattern lässt, wie sie kokett flirtet und sich verlegen in Smalltalk flüchtet, ahnt man, dass Emma auch nach Jahren noch nicht abgeschlossen hat mit ihrem Jerry.

Thomas Peters wiederum fällt im Trio die Rolle des coolen Komödianten zu. Robert, der moderne Prosa hasst, ist als Verleger in seinem Sarkasmus fast so schön eklig wie Bernd Stromberg im Fernsehen als Versicherungsfritze. Einer wie er macht aus dem Ehebruch doch keine Affäre. Er hat ja selbst Frauengeschichten. Dabei muss der selbstbewusste Macho auch erst mal festen Halt suchen, als er die Wahrheit erfährt. Thomas Peters arbeitet das Schwächeln beim arroganten Auftritt hübsch dezent heraus.

Den erlösenden Skandal einer explosiven Enthüllung, der im Boulevardtheater lüstern lauert, gibt’s bei Pinter nicht. Seine Figuren arrangieren sich insgeheim mit ihren Kränkungen. Und dennoch wird der Zuschauer nicht um sein Vergnügen betrogen.