
Bei der achten Ausgabe des Theatertreffens fragen junge Regisseurinnen und Regisseure: Wie knackt man das verkrustete System?
Darmstadt. Als die Darmstädter Operndirektorin Kirsten Uttendorf Mitte der Neunziger noch Regie-Assistentin in Mannheim war, wusste sie gar nicht, was dieser Job verlangte. „Das war null definiert. Jedes Haus hatte eigene Gesetze“, erinnert sich die Spartenleiterin des Staatstheaters. Dort gibt es für die Assis heute garantiert „einen freien Tag pro Woche und das Anrecht auf Nachtruhe. Da achten wir drauf“, betont Uttendorf. Bei ihrem ersten Engagement in Mannheim war an sowas nicht zu denken: „Früher hat da keiner dran gedacht. Ich habe im Theater gelebt.“
Ob das heute immer noch so ist, ob das so sein muss, wie es besser geht und was bei so einer Assistenz künstlerisch möglich, um all diese Fragen soll es Anfang Juni beim Festival „Summer up“ in Darmstadt gehen: An drei Tagen wird es neben Workshops und Diskussionen auch sechs bis sieben Gastspiele geben. Es ist bereits die achte Ausgabe dieses Theatertreffens der Berufsanfänger im Fach Regie.
Entworfen hat das Format die aus Heidelberg stammende Regisseurin Jessica Weisskirchen, die als Assistentin am Theater ihrer Heimatstadt begann und dort die ersten vier Ausgaben von „Summer up“ ausrichtete. Damals merkte sie, wie wichtig es ist, dass sich junge Leute, die das Regiehandwerk am Theater erlernen wollen, vernetzen. Als Dienstleisterin für den Kunstprozess war sie zwischen Koordinationsaufgaben und Abendspielleitung vielfach gefragt. Raum für eigene Theaterkunst aber blieb kaum. Das ging nur „guerillamäßig: nachts auf der Probenbühne bis morgens um sieben. Das waren die Nischen, und da sind auch tolle Sachen entstanden.“
Es braucht also Eigeninitiative bis zur Selbstausbeutung. Aber kann das die Zukunft des Theaters sein? Schließlich stellt eine neue Generation auch neue Ansprüche: „Man blickt heute anders auf den Betrieb. Es geht um faire Gagen und Arbeitsbedingungen, auch um Mitbestimmung. Das hat schon was mit Emanzipation zu tun.“ In diesem Geiste hat Weisskirchen einst das Festival gegründet: als Fest der Assistenten, die andere Assistenten einladen, „ohne dass eine Machtebene dazwischen ist.“
Man blickt heute anders auf den Betrieb. Es geht um faire Gagen und Arbeitsbedingungen, auch um Mitbestimmung.
Lassen sich die verkrusteten Strukturen von innen aufbrechen? Das Motto des Festivals in Darmstadt propagiert das zumindest: „Crack the System“ - knack das System, lautet die Parole. Dazu brauchte es eine klare Definition, was so ein Regieassistent denn alles zu tun hat. Dringend nötig sei das, sagt Lara Yilmaz, die als Abschluss ihres Regiestudiums in Hamburg fürs Darmstädter Staatstheater in der „Krone“ das Musiktheaterstück „Becoming Luise Büchner“ einrichtete, und nun zum Organisationsteam des Festivals gehört: „Es wird immer unklarer, was der Beruf ist und was er bringt. Es gibt kein Jobprofil. Wie also definieren wir uns?“
Auf der Suche nach den Theaterleitern von morgen
In Darmstadt immerhin seien die Anforderungen an die Assistenzen recht klar benannt. Freiräume für eigene Akzente aber bleiben rar. Zumal im Musiktheaterbereich, wo der organisatorische Aufwand größer ist als im Schauspiel. Das weiß die Operndirektorin: „Es gibt kaum Theater, die junge Leute begleiten, bis sie groß werden.“ Uttendorf selbst inszenierte nach einigen Jahren als Assistentin in Darmstadt über zwei Dekaden hinweg rund 70 Produktionen an gut 20 Bühnen, bevor sie 2018 ans Staatstheater zurückkam. Nun hofft sie, beim „Summer up“-Festival den Nachwuchs kennenzulernen, „der irgendwann Theater mitgestalten und leiten wird“.
Ganz so einfach sei es nämlich nicht mehr, junge Leute für die Regieassistenz zu gewinnen. Zwar sei der „Markt gesättigt, weil viele Menschen Lust haben, den Job zu machen“, wie Jessica Weisskirchen weiß. Doch treten mittlerweile eben viele Aspiranten ein Regiestudium an. Zwar wurde das Einstiegsgehalt für Assistenzen zuletzt auf 2700 Euro brutto erhöht, doch verbunden mit den notorisch familienunfreundlichen Arbeitszeiten ist auch das nicht gerade verlockend.
Jury wählt aus über 50 Bewerbungen aus
Das Festival im Juni soll nun dazu beitragen, dass der Nachwuchs bessere Perspektiven entwickelt – für sich selbst und für die Kunst. In der achten Ausgabe sei die Resonanz mittlerweile gut: Über 50 Produktionen auch von großen Häusern haben sich beworben. Eine Jury soll auswählen, was zu sehen sein wird. Bisweilen sind Erstlingsarbeiten ja höchst sehenswert.
Darmstädter Theaterfreunde mögen sich auch noch an die Jungfernregie ihrer heutigen Operndirektorin erinnern: Ende der Neunziger richtete Kirsten Uttendorf mit Katharina Hoffmann und Jens Ochlast Shakespeares Versepos „Venus und Adonis“ ein. Die beiden zeigen ihr Doppel noch heute bei Gastspielen. Ein Dauerbrenner also, den es eigentlich gar nicht hätte geben sollen, denn die Darmstädter Dramaturgie hielt davon nichts. Uttendorf zog das Ding dennoch durch. An dieser Grenze zwischen Dienen und Machen reiben sich die Assistenten gestern wie heute auf.