Spionage zwischen Fiktion und Realität in Frankfurts Schirn

Der Kalte Krieg bescherte dem Beruf des Kundschafters Konjunktur: Blick in die Schirn-Ausstellung. Foto: Norbert Miguletz

Kunsthalle zeigt rund 70 Werke von 40 Künstlern aus den vergangenen 60 Jahren, ergänzt von populären Filmen.

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FRANKFURT. Jill Magid wurde unfreiwillig zur Spionin. Die Künstlerin erhielt vom niederländischen Geheimdienst vor 15 Jahren den Auftrag, das „menschliche Gesicht“ der Behörde zu vermitteln. Dafür konnte sie 18 Agenten treffen und mit ihnen sprechen, aber keine Foto- und Tonaufnahmen machen. So notierte sich Magid akribisch Aussehen und Auftreten der Agenten. Diese Notizen druckte sie später und stellte dazu ein oder zwei Wörter in Neonleuchtschrift, die den Spion charakterisieren wie „Flüsterer“ oder „wirkt älter“.

Doch der Geheimdienst beschlagnahmte sieben der Schrift-Porträts, da sie zu viel preisgaben. Die Spione sollten geschützt werden, sonst wäre ihr „Gesicht verbrannt“, ihre Identität also bekannt. Jetzt zeigt die Frankfurter Schirn Kunsthalle die elf verbliebenen Porträts, die klare Bilder zeichnen: „Er sieht wie ein Amerikaner aus und spricht auch so, hat Vampirzähne, üppige Lippen und grüne Augen“, beginnt eine Beschreibung.

Für die konfiszierten Porträts stehen sieben leere Blätter – erst spät hat der Geheimdienst gemerkt, dass er seine Mitarbeiter mit dem Projekt in Gefahr bringt. Offensichtlich hatte Magid die Strategie eines Spions übernommen und sich jedes Detail der Gespräche eingeprägt. Dieser Beitrag der 47-jährigen Amerikanerin ist das eindrucksvollste Werk der neuen Schirn-Ausstellung. Sie zeigt rund 70 Werke von 40 Künstlern aus den vergangenen 60 Jahren, ergänzt von populären Filmen. Auch zu sehen sind historische Objekte, von der Armbanduhr mit Mikrofon bis zur Zigarettenschachtel mit eingebauter Kamera.

Spione wurden zu Helden

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Es ist also für jeden etwas dabei, den Kunstfreund, den Filmfreak und den Historiker in der Schau mit dem etwas geheimnistuerischen Titel „We never sleep“. So lautet auch der 170 Jahre alte Slogan von „Pinkerton’s“, der ältestesten Detektei der USA – darüber wacht sogar ein allzeit offenes Auge. Dabei gibt es Spione, seitdem sich Menschen bekriegen, also schon immer. Früher hießen sie Kundschafter, erst im 19. Jahrhundert wurde daraus ein Beruf – und was für einer. Schnell wurde er durch Romane u nd Filme populär. Und die Spione wurden zu Helden, obwohl ihr Wirken wenig mit der Fiktion zu tun hatte.

Aber nicht nur Schriftsteller und Filmemacher inspirierte die Welt der Tarnung und Überwachung, der Codes und Kameras, der Doppelagenten und des Verrates. Auch die Künstler interessiert dieses ganz andere Leben – und sie widmen sich ihm erstaunlich kritisch. Natürlich hat sich auch die Welt gewandelt seit 1953, seit dem ersten Film über James Bond, den Agenten 007. Längst wird mehr Transparenz von Regierungen verlangt, obwohl die Geheimdienste weiterhin aktiv sind.

Und Geheimnisse werden von Whistleblowern veröffentlicht, wie der Fall von Edward Snowden zeigt. Die heutigen Künstler nehmen sogar alle Arten der Überwachung unter die Lupe. Der Fotograf Trevor Paglen wird selbst zum Spion und kundschaftet mit Spezialkameras verborgene Orte von Geheimdiensten aus. „Klangdetektiv“ Lawrence Abu Hamdan indes prüfte eine digitale Sprachanalyse samt Lügendetektor. Er befragte die Entwickler, ließ dabei das Programm laufen – und das Pendel schlug aus, als würden die Entwickler lügen. Dabei waren sie nur gestresst. Folglich ist kein Lügendetektor zuverlässig.

Aber auch Berühmtheiten eignen sich nicht immer als Spione, wie an den Porträts der Modedesignerin Coco Chanel oder der Tänzerin Mata Hari deutlich wird. Einige Filme zeigen sogar die mal glamouröse, mal gefährliche Welt zwischen Bond-Story und Hitchcock-Thriller. Rotzfrech hingegen trat die ostdeutsche Künstlerin Cornelia Schleime nach Lektüre ihrer Stasi-Akte auf. Jeder Notiz stellt sie ein inszeniertes Selbstporträt entgegen. So kontert sie den Vermerk, dass sie kein Auto habe, mit einem großen Schlitten vor der Tür. Die Paranoia raubte fast allen den Schlaf, den Spionen und den verfolgten Bürgern.