Spielgemeinschaft begeistert mit dem "Fröhlichen Weinberg"
Die Terrasse des Darmstädter Staatstheaters wird zur Bühne: Bis Anfang September zeigt die Hessische Spielgemeinschaft dort ihre hinreißende Aufführung des "Fröhlichen Weinbergs".
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Wettlauf ins Liebesglück: Ida Horst als Klärchen, Benjamin Geipel als Jochen Most im "Fröhlichen Weinberg" auf der Terrasse des Staatstheaters. Foto: Jan Ehlers
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DARMSTADT - Nicht für jeden ist der Weinberg fröhlich. Mit schwerem Schritt zieht der Chor der Erntehelfer zur Arbeit, die düsteren Hejo-Gesänge geben den Rhythmus vor für die immergleichen Handgriffe. Sieht mühsam aus, zeigt aber ein botanisches Wunder, denn auf der Terrasse des Darmstädter Staatstheaters wachsen die Trauben aus Glyzinien. Und was kommt ins Glas? Wein aus Bechtheim. Aus Bechtheim! Wo doch Carl Zuckmayers "Fröhlicher Weinberg" in Nackenheim spielt.
Das ist aber auch die einzige Nörgelei, die sich gegen die Aufführung der Hessischen Spielgemeinschaft vorbringen lässt. An diesem "Fröhlichen Weinberg" ist einfach alles gelungen, und wenn vor ein paar Jahren die Amateurtruppe noch von Nachwuchssorgen geplagt war, reibt man sich nun die Augen. Regisseurin Judith Kuhnert hat eine sehr gründliche Arbeit geleistet mit dem großen, deutlich verjüngten Ensemble, in dem neue Gesichter und bewährte Kräfte einander ergänzen.
Sie alle machen diese Aufführung zu einem großen Vergnügen. Dabei haben es die Schauspieler gar nicht so leicht, die Aufmerksamkeit zu fesseln: Das schöne Bühnenbild von Michael S. Kraus, der das Publikum mitten ins Geschehen setzt, fordert weite Wege auf einem Parcours zwischen verschiedenen Schauplätzen. Aber es gelingt Kuhnerts Regie, die Situationen geschickt zu konzentrieren, und nebenbei zeigt sie, wie stark und unverbraucht Zuckmayers Text wirkt, wenn man mit heutigen Augen darauf schaut. Die Geschichte des Weingutsbesitzers Gunderloch, der das Eheglück seiner Tochter erzwingen will und kurzzeitig auf den falschen Bräutigam setzt, unterdessen aber auch seine späte Liebe zu Annemarie findet, ist mit Wärme und Witz erzählt, aber auch eingebettet in eine Politsatire, die in unserer Gegenwart bestehen kann. Wenn die Kriegsveteranen gegen die jüdischen Weinhändler pöbeln und ihnen anspielungsreich den Disco-Hit "Ein Stern, der deinen Namen trägt" im Marschrhythmus entgegenbellen, läuft es kalt den Rücken hinunter. Überhaupt spielt die Musik eine große Rolle, wenn Kuhnert das Lustspiel unverkrampft in die Gegenwart verlängert; Timo Willecke, Daniel Malkmus und Luca Lisowski sorgen für die stimmungsvolle Live-Begleitung. Da ist Rheinwein-Frohsinn ebenso erlaubt wie eine wunderbare Kammermusik-Version von Helene Fischers "Atemlos", und die Gesangsschlacht im Wirtshaus wird zum lustigen Wettstreit musikalischer Zitate zwischen Schlager und Schunkellied. Dabei bringt Reiner Maurer als Rindsfuß erhebliche Entertainerqualitäten auf die Bühne, wenn er das alte Lied "Spitz, komm eraus!" mit vollem Körpereinsatz interpretiert; in Marga Hargefeld hat dieser trocken-humorige Weinhändler einen passend spitzen Widerpart.
TERMINE
Bis 2. September wird "Der Fröhliche Weinberg" an fünf Tagen in der Woche auf der Foyerterrasse des Staatstheaters gespielt - jeweils Mittwoch bis Sonntag, Beginn 19 Uhr.
Zwei Stunden vor der Vorstellung öffnet der Ausschank. Vorverkauf unter Telefon 06151-2811600. (job)
Überhaupt lebt die Aufführung von ihren starken Typen und vor allem von der überschäumenden Spielfreude, mit der sie sich gegenseitig anstecken. Das ist eine große Mannschaftsleistung, in der auch kleine Rollen präsent sind wie Ute Sauter als knurrig-korrupte Frau vom Amt. Thomas Hechler ist ein starker Knuzius, der schneidig auftrumpfen und weinerlich wimmern kann, Elisa Glock ein handfestes Babettchen, das sich als Ehefrau diesem Mann gewiss nicht unterordnen wird. Die ungestümen Auftritte von Benjamin Geipel als Jochen Most, das Temperament von Ida Horst als Klärchen, der kölsche Singsang von Hermann-Josef Hoffsümmer als Stenz, die berechnende Naivität von Annika Grüschow in der Rolle seiner Tochter - das sind Eindrücke, die man nach gut zweieinviertel Stunden mit nach Hause nimmt. Thomas Schüler als Landskronwirt paart mächtigen Körper mit kindlichem Gemüt, Eberhard Schick bringt Witz und Charakter mit für die Rolle des Löbsche Bär. Und Daniel Seip spielt als Hahnesand das Ungeschick des jugendlich Verliebten sehr komisch aus.
Welche Paare sich am Ende finden werden, erkennt der aufmerksame Zuschauer schon an den Farben der Kostüme (Veronika Sophia Bischoff). Im Mittelpunkt stehen Gunderloch und die Frau, für die er als größtes Kosewort Herbstapfel und Nußbäumchen findet. Ralf Hellriegel ist ein stattlicher Patriarch, der auch cholerische Ausflüge mit einem Augenzwinkern begleiten kann, Sandra Russo mit kraftvollem Charme ein ebenbürtiges Gegenüber. Auch sie geben dieser Aufführung Herz und Humor, Witz und Schärfe. Nach dem riesigen Schlussbeifall möchte man die Aufführung am liebsten gleich noch einmal sehen. Gerne mit Wein aus Bechtheim.