Das Freie Theater hat im Nerotal Premiere mit seiner Inszenierung „Dorian Gray“ gefeiert. Einge Premierengäste verließen jedoch in der Pause die Vorführung.
WIESBADEN. Schade. Eine straffere Inszenierung hätte dem „Dorian Gray“, mit dem das Freie Theater Wiesbaden sein Sommertheater im Nerotal bestreitet, gut getan. Und womöglich verhindert, dass sich einige Premierengäste nach den mitunter anstrengenden ersten anderthalb Stunden auch noch die weitere Stunde nach der Pause gegönnt – und miterlebt hätten, wie der einstig schöne, unschuldige Jüngling an seiner Wandlung in ein seelenloses Wesen verzweifelt und sein Porträt und damit sich selbst zerstört.
Unbedarft, geschmeichelt und aufs Übelste verführt
Maximilian Miller gibt einen überzeugenden Dorian Gray: unbedarft bei seiner „Entdeckung“ durch den Maler Basil (Jan-Markus Dieckmann), geschmeichelt und schließlich aufs Übelste verführt von seinem skrupellosen Mentor Lord Henry, den Niklas Luft mit ansteckender Spielfreude auf die Bühne zwischen den Tennisplätzen des Wiesbadener Tennis- und Hockey-Clubs (WTHC) bringt.
Der 1891 als Buch veröffentlichte Roman von Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“) galt seinerzeit als anrüchig, gar als Skandal. Kritisierte er doch die Dekadenz der Oberschicht, ihre Oberflächlichkeit und ihre (gefährliche) Selbstverliebtheit. Und ihre vorbehaltlose Liebe zur Jugend, wie sie Doran Gray verkörpert, und sie sich bewahrt, indem er seine Seele dem Gemälde seiner selbst überantwortet: Es altert statt seiner. Doch Treffen der Oberschicht – in diesem Fall ein Mittagessen bei Lord Henrys Tante Lady Agatha (Rahel Dolder) – zeichnete Wilde nicht ohne Ironie und Witz. Und eben der kommt bei der neuen Bühnenfassung von Regisseur Dieckmann zu kurz. Die Dialoge sind teils ein wenig lang, jedoch geschliffen, die Sprache angenehm altmodisch anmutend in Zeiten, da sie zunehmend verhunzt wird – und doch fehlte der gewisse Pfiff. Und das lag nicht allein daran, dass die Gäste ein tatsächlich außerordentlich gut funktionierendes Gehör benötigen, um auch wirklich alles Gesagte mitzubekommen. Die Mikros vollbringen nicht gerade eine Bestleistung, immer wieder kommt es zu Überschneidungen. Dafür kommt die Menschenverachtung, mit der Dorian Gray seine „Liebe“, die von Silvia Andermann verkörperte Schauspielerin Sybil, bedenkt, mit voller Wucht beim Publikum an: Wie kann sie sich erdreisten, sich nach seiner Zurückweisung ob ihres schlechten Spiels auf der Bühne das Leben zu nehmen? Kein Grund, bei diesem Gedanken allzu lange zu verharren: Lord Henry, der dem ahnungslosen Dorian die Todesnachricht überbringt, wartet. Und ein Abendessen mit anschließendem Opernbesuch.
„Ich werde mich ändern“, proklamiert der ewige Jüngling im Schein roten Scheinwerferlichts, kurz bevor er Basil tötet, weil dieser sein Gemälde von Dorian samt der nun nicht mehr zu übersehenden fratzenhaften Veränderungen gesehen hat. Wir wissen, Dorian Gray hat es nicht geschafft.
Das Freie Theater Wiesbaden hat ein ordentliches Stück, das bis Sonntag, 2. September, insgesamt weitere achtmal im Nerotal aufgeführt wird, auf die eigenwillige, mit sorgsamem Bühnenbild ausgestattete Naturbühne gebracht. Das gewisse Etwas, der letzte Pfiff, der den Funken der zweieinhalbstündigen Aufführung hätte transportieren können, vermisste mancher.