Publikumsliebling Nanine Linning hat Heidelberg mit ihren Tänzern verlassen. Iván Pérez tritt die Nachfolge an. Die Performance „The Inhabitants“ ist ein tastender Auftakt.
HEIDELBERG. Eine neue Spezies ist in der Stadt: Ein Dutzend Gestalten huscht durch einen Park, dort wo ein Wohngebiet an Uni- und Institutsquartier grenzt. Die Kreaturen sehen aus wie wir, bleiben aber stumm, springen mal wie Elfen im Spätsommerabendstraum über eine Wiese, spielen Haschmisch wie die Blumenkinder, klettern auf eine alte Weide am Teich wie Mowgli, Jane und Tarzan. Sie nennen sich „The Inhabitants“, die Einwohner, dabei sind sie ganz neu in Heidelberg.
Der spanische Choreograf Iván Pérez schickt seine frisch formierte Truppe zum Auftakt seiner Zeit als Spartenleiter am Heidelberger Stadttheater in eine „ortsspezifische Performance“. Zum ersten Mal hat er das 2016 in Venetien gemacht. Nun beerbt er die am Neckar äußerst beliebte Niederländerin Nanine Linning und macht sich zunächst in Handschuhsheim mit seinen Tänzern bekannt. Zwei Premieren im Theater sollen folgen.
Vergessene Gruppe in einer verlassenen Zukunft
Man möge sich die „Inhabitants“ als vergessene Gruppe in einer verlassenen Zukunft vorstellen, empfiehlt das Programmheft. Dabei funktioniert die Begegnung mit den Tänzern auch ohne dieses Denkmodell, denn schließlich sind ja die Zuschauer die Einwohner und die Künstler die Fremden. Entsprechend wirken sie, wenn sie stumm unterm Sichelmond hinter den Gittern eines Spielplatzes huschen, wie Tiere im Zoo. Die Assoziation ergibt sich wieder, wenn sie am Ende im Glaspalast eines Pharmaunternehmens hinter den Scheiben des Foyers darauf warten, dass die Zuschauer mit ihnen gestisch Kontakt aufnehmen. Wie gehen wir mit dem Anderen, dem Fremden um, das ist die Frage, die natürlich gesellschaftskritisch verstanden sein will.
So gesehen ist der kleine Park ein Wildreservat der Künstler, die den Zuschauern ganz nah kommen, ohne sich allerdings mit ihnen auszutauschen. Seltsam autistisch wandeln sie umher, schreiten wie Naturmystiker barfuß durchs Gras, wackeln wie mit Quark in den Knien über eine Holzbrücke – Artefakte der Zivilisation rauben ihnen offenbar das Gleichgewicht. Das schaut dann aus wie die Untotenparade beim Zombie-Walk. Auf einem gepflasterten Spielplatz betten sie sich zur Ruhe und wälzen sich zu Füßen des Publikums als somnambuler Organismus über eine künstliche Hügellandschaft.
Sie rollen und klettern, taumeln und torkeln, aber sie tanzen nicht – sieht man vom einsamen Paar ab, das sich von der Gruppe absetzt und ein Pas de deux im Sprühregen zeigt. Und so formuliert „The Inhabitants“ denn auch noch kein choreografisches Versprechen des neuen Teams. Wenn die Tänzer nach einer Stunde aber im Glasfoyer stehen wie im Exotenhaus, dann sind die Neuen schon gar nicht mehr so fremd. Zuschauer und Tänzer tasten sich an den Scheiben ab. Es ist ein vorsichtiger Beginn. Ob die künstlerische Koexistenz gelingt, das muss sich erst im natürlichen Habitat dieser unbekannten Spezies erweisen – auf der Bühne.