Lapdance bei der Theater-Biennale Wiesbaden

„My big sister taught me this lap dance“ ist eine One-Woman-Show der schottischen Performerin Rosana Cade für einen Betrachter oder eine Betrachterin.

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WIESBADEN. Ein kleiner muffiger Raum auf der Hinterbühne des Staatstheater-Studios: Es riecht nach Haarspray und Schweiß. Man wird gebeten, Platz zu nehmen, die Beine zu spreizen und die Arme streng an der Seite zu lassen. „Don’t touch!“, raunt einem die schottische Performerin Rosana Cade zu und beginnt ihren Lapdance mit all dem wenigen, was dazugehört. In ihrer roten Langhaar-Perücke, der schwarzen Reizwäsche und den hohen Hacken sieht sie aus wie ein x-beliebiges Pornogirl.

Fünf Minuten dauert ihr Tanz, bei dem sie ihren Hintern sehr nah ans Gesicht der Besucher schiebt und zentrale Geschlechtsmerkmale in Nahaufnahme offeriert. Ein Tanz um den weiblichen Körper, eingeübt, um aufzugeilen.

„My big sister taught me this lap dance“ ist eine One-Woman-Show für einen Betrachter oder eine Betrachterin. Rosana Cade präsentiert den Lapdance, den ihre Schwester angeblich früher professionell betrieb.

Nach dem kurzen intensiven Tanz verwandelt sich Cade in die Frau hinter dem Sexobjekt, steht nackt vor einem in der Haltung des idealen Menschen von Leonardo da Vinci. Kurze Strubbelfrisur, sehr weiße Haut, kleiner Busen, lange Achsel- und Schamhaare, schöne Augen. Ein markantes Gesicht, das Geschlechtergrenzen aufweicht. Gleißende Helle ersetzt jetzt das schummrige Rotlicht von eben. Cade setzt sich uns nah gegenüber auf einen Stuhl, schaut uns in die Augen; ein Spiel, das an die Arbeit „The Artist is present“ von Marina Abramović erinnert, in der die Rollen der Künstlerin und ihrer Zuschauer ineinanderfließen. Zeit um nachzudenken über den Körper im Raum, das Frau- und das Mannsein und das große Dazwischen. All das dauert keine zehn Minuten, danach werden wir wieder hinausgeführt, hinter den Vorhang hinter dem Stuhl, auf dem wir gerade noch saßen. Kleine Löcher sind in den Vorhang gerissen, durch die wir die ganze Nummer mit dem nächsten Besucher noch einmal erleben, diesmal gewissermaßen als Peep-Show. Interessant, wie das Unbeobachtet-Sein die Blickrichtung ändert, wie unbefangen man auf einmal glotzt. Gleichzeitig bekommt man über Kopfhörer einen Bericht übers tägliche Lapdancen als Broterwerb eingespielt.

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Ein Beruf, der davon lebt, begafft zu werden, wie der der Performerin auch? Doch wie schauen wir auf den weiblichen Körper? Und wie schauen Frauen auf ihren eigenen? Das sind Fragen, denen sich Rosana Cade offensiv stellt. In dem Text, den wir über Kopfhörer hören, mündet das in ein erschütterndes Plädoyer für mehr Eigenakzeptanz, das sich explizit an Frauen richtet, denen die tränenerstickte Stimme eintrichtert, das Frausein zu lieben, auch wenn die Gesellschaft einem das nicht gerade einfach mache.

Mit dieser Umkehrung gelingt es Rosana Cade, aus einem primitiven Tanz eine Art feministische Manifestation zu schälen. Krass gut!