Kammerspiele: Marie-Louise Gutteck brilliert in „The Kraut“

Im Schlafanzug und Morgenmantel: Marie-Louise Gutteck brilliert als Marlene in „The Kraut“, das in den Kammerspielen Premiere feiert. Foto: Christof Mattes

Mit dem Ein-Presonen-Stück „The Kraut“ feiert die Schauspielerin Marie-Louise Gutteck als Marlene Dietrich in den Wiesbadener Kammerspielen Premiere.

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WIESBADEN. Paris, Avenue Montaigne Nr. 12, im Jahr 1987. Aus freien Stücken in der eigenen Wohnung gefangen, plant Marlene Dietrich, der vielleicht einzige deutsche Weltstar, seine eigene Beerdigung. In dem Stück „The Kraut“ zäumt der Autor Dirk Heidicke die Geschichte der Dietrich vom nahenden Ende her auf.

Die Moritat mit viel Gesang hatte am Samstag in den Kammerspielen Premiere. Marie-Louise Gutteck in der Titelrolle verwandelt sich in dem Einakter von der zurückgezogen lebenden alten Frau in die Diva, die sie einst war. Sie wird zuletzt wieder zum Inbegriff lasziver Weiblichkeit und kühler Verführung. Sie macht die müde Figur vergessen, die anfangs im gestreiften Schlafanzug mit geblümtem Morgenmantel darüber vors Publikum tritt.

Kampf gegen die Nazis in der US-Armee

Gutteck ist für das relativ junge Kammerspiel-Publikum keine Unbekannte. Sie war in Wiesbaden bereits in „Tag der Gnade“ zu sehen, auch dieser Einakter wurde von Jan Käfer an den Kammerspielen inszeniert. Der Regisseur lässt eine sammelwütige Marlene Dietrich in Schuhkartons und Erinnerungen an die vielen berühmten Liebhaber kramen. „Kraut“, so erfahren die Zuschauer, ist der Spitzname, den Ernest Hemingway der Dietrich gab. Beide kämpften unabhängig voneinander mit ihren jeweils eigenen Mitteln in der US-Armee gegen die Nazis. Die Diva und der Literat trafen sich Mitte September 1944 nach der Befreiung von Paris im „Ritz“. Für beide eine Atempause in einem mörderischen Krieg, von dem sie nicht wussten, wie lange er noch dauern würde und ob sie ihn überleben.

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Hemingway tritt in dem Stück nicht auf, er ist nur als Porträt präsent, an das sich die Dietrich immer wieder wendet. „Sag was, Papa“, fordert sie das stumme Abbild auf. „Manchmal muss man jemandem, den man liebt, in die Fresse hauen. Wer wüsste das besser als du, Papa?“ Sie spricht mit dem Mann, der schon 1961 freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Sie will ihm die „Tricks zum Zurückschlagen“ entlocken – aber dazu ist es längst zu spät. Die Gutteck spielt eine Frau, die glaubt, nichts wert zu sein. Nicht nur, weil sie rein äußerlich nicht mehr dem Bild entspricht, das sich die Welt von ihr gemacht hat. Sie ist zutiefst von Selbstzweifeln geplagt. Zugleich überschätzt sie sich maßlos, wenn sie glaubt, sie hätte den Lauf der Welt verändern können – etwa in dem sie mit Hitler eine Liebschaft angefangen hätte.

Die Dietrich startete eine zweite Karriere als Sängerin. Schauspielerin Marie-Louise Gutteck meistert mit unglaublicher Bravour die Aufgabe, wie die Dietrich zu singen. Von „Davon geht die Welt nicht unter“ bis zu „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ baute der Autor viele Songtexte ins Stück ein. Heidicke lebt übrigens in Magdeburg, seiner Heimatstadt. Von ihm stammen bislang nicht weniger als 63 Theaterstücke – an Theatern in Deutschland und im Ausland gespielt. Die Mischung aus ernsten Tönen mit zeitweise überbordender Heiterkeit in „The Kraut“ gefiel dem Premierenpublikum ganz außerordentlich. Mit Bravo-Rufen und viel Applaus wurde die sängerische und darstellerische Leistung der Marlene-Darstellerin bedacht, die vom Stadttheater Gießen kommt.