Die Büchnerbühne verwandelt Wagner-Opern zum Musical: Die Premiere von Christian Suhrs Parodie „Die Niegelungen“ findet beim Groß-Gerauer Festival „Volk im Schloss“ großen Beifall.
GROSS-GERAU. Vier volle Seiten braucht das Programmheft, um die Geschichte dieses Abends zu erzählen. So ausführliche Inhaltsangaben sind sonst nur in der Oper nötig, weil dort die Handlung oft ziemlich verrückt ist und das Singen die Sache nicht einfacher macht. In diesem Fall aber verträgt auch ein Schauspielabend diese Hilfe, denn die Büchnerbühne hat vier Opern, davon drei sehr lange, in zweieinhalb Stunden gepackt.
Das kann nicht gutgehen, weshalb der kalauernde Titel „Die Niegelungen“ mehrdeutig gelesen werden kann. Und Christian Suhrs Bearbeitung stürzt sich mit dem Mut zur entschiedenen Abkürzung in Richard Wagners Interpretation der Nibelungen-Sage, an die auch mal ein verfremdetes Zitat in der Live-Musik von Justin Hombach (E-Gitarre) und Bastian Hahn (Keyboard) erinnert. Hahn spielt auch den listigen Loge, der Götter, Helden und Schurken durch die Handlung führt. Er ist der einzige, der Haltung bewahrt. Alle anderen lassen sich treiben von dem Streben nach Macht und Besitz. Es geht um Geld und Sex, Macht und Erotik, Inzest und Raub, Mord und Betrug, alles an einem einzigen Theaterabend, der jede Gelegenheit zur Zuspitzung bietet. Suhrs Bearbeitung fasst die Ereignisse kompakt zusammen, ergänzt sie um stimmungsvolle Songs, formuliert die Ereignisse so direkt um, dass man ihre Aktualität umstandslos serviert bekommt – bis hin zum Schluss, wenn Wotans Weltuntergang von den Bildern moderner Katastrophen begleitet wird.
So gelingt eine flotte Show, die zur Eröffnung und im Finale von fünf Tänzerinnen der TSG Blau-Silber aus Gernsheim zusätzlich Tempo bekommt. Karsten Leschkes Bühne mit zwei hohen, variabel bespielbaren Kästen ermöglicht rasche Szenenwechsel und dürfte auch gut passen, wenn die Produktion ins Repertoire des Leeheimer Stammhauses wechselt.
Vorher wird an der Inszenierung aber sicher noch gearbeitet werden. Denn die Fassung, mit der die Büchnerbühne am Freitagabend beim Groß-Gerauer Festival „Volk im Schloss“ Premiere feierte, eilt zwar temporeich durch die Geschichte und entwickelt mit wenigen Mitteln präzise Situationen. Aber es bleibt bei der bebilderten Nacherzählung. Eigene dramatische Kraft entwickelt dieser Abend nicht, die Konzentration gelingt nur selten. Das ist ja auch schwer im offenen Theaterzelt, bei dem die Bühne mit dem Festlärm von draußen konkurrieren muss. Suhrs Regie nimmt die Triebkräfte der Handlung durchaus ernst, erliegt dann aber doch dem großen Jux. Vom Festivalpublikum gab es dafür großen Beifall.
Das gute Ensemble schlägt sich ja auch wacker, und es macht Spaß, diesen Schauspielern bei der Arbeit an der Karikatur zuzuschauen. Mélanie Linzer lässt den fiesen Alberich grandios krächzen und bellen, Oliver Kai Müller bewahrt als Wotan noch im Untergang Format und lässt zwischendurch den Wormser König Günther ziemlich dämlich ausschauen, Ursula Stampfli ist die angemessen zickige Göttergattin Fricka, Valerie Bolzano eine kraftvoll selbstbewusste Brünnhilde. Leonard Schärf ist für die miesen Typen zuständig, ob sie nun Hunding oder Hagen heißen. Alexander Valerius lässt seinen Siegfried so sprechen, wie manche Erwachsene gerne Kindergartenkinder nachahmen. Der Mann will halt nicht erwachsen werden, und die Nibelungensage gibt ihm ja auch keine Chance dazu.