Gespräch mit Choreograf Ohad Naharin vor „Sadeh 21“-Premiere
Am 13. Oktober feiert das Ballett „Sadeh 21“des israelischen Choregrafen Ohad Naharin im Staatstheater Wiesbaden premiere. Wir sprachen im Vorfeld ihm.
Von Melanie Suchy
Choreograf Ohad Naharin möchte keine weiteren Interviews mehr geben.
(Foto: Gadi Dagon)
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WIESBADEN - Ohad Naharin, der berühmteste der bekannten israelischen Choreografen und Choreografinnen, gibt sein Werk „Sadeh 21“ an die Hessen. Bislang hat er nie, bis auf eine Ausnahme, ein abendfüllendes Werk an eine andere Tanzkompanie vergeben. Ensembles in aller Welt bekamen Szenenkollektionen namens „Deca Dance“. Die Stücke, aus denen diese Szenen stammten, führten nur Naharins eigene Companie, Batsheva Dance, oder seine Juniorcompanie auf. Letztere gastierte im April 2017 in Darmstadt mit „Naharin’s Virus“; und bei den Maifestspielen 2016 war Batsheva mit „Last work“ zu sehen, Naharins großartigem Werk von 2015. Er schuf danach neue Stücke. Aber dies sei sein letztes, höchstens vorletztes Interview, das er je gebe, erklärt er.
Choreografien sieht er als Prozess
„Sadeh 21“ hatte 2011 in Jerusalem Premiere. Warum hat er es jetzt hergegeben? „Etwas in mir war bereit, es loszulassen“, sagt er. „Eine Art Experiment.“ Seine eigene Companie tanzte es zum Zeitpunkt der Anfrage vor zwei Jahren nicht mehr. So habe er die Chance, es am Leben zu halten. Jede seiner Choreografien sehe er als Prozess an, bei dem es zwar mal den Moment der Premiere gebe, aber die Arbeit daran höre nie auf.
Zunächst führten sie seine beiden Tänzer und Assistenten Rachael Osborne und Ian Robinson in Wiesbaden fort. Sie brachten den Tänzern die Choreografie bei, passten die Solos ein wenig an. Naharin sah die Truppe am Montag zum ersten Mal. „Es hat mich berührt, wie sehr sie sich anstrengen und wie viel sie geben.“ Er probt mit ihnen und nennt es Hilfe: „Dass sie über das hinausgehen, was sie gewohnt sind zu können. Mehr Möglichkeiten entdecken.“ Er gebe ihnen Schlüssel zum Interpretieren der Choreografie. „Etwa, wie man Gewichtsverlagerungen nutzt, wie man Schwerkraft negiert, wie man Schnelligkeit verbindet mit Loslassen und Bewegungsgröße.“ Wer sich schnell bewegt, tendiert dazu, die Bewegungen kleiner zu machen. Und umgekehrt. Naharin bringt Tänzern bei, beim Größerwerden auch die Schnelligkeit zu steigern. Eine Entdeckung für viele.
ZUR PERSON
Ohad Naharin, 1952 in ein musisches Elternhaus in einem Kibbuz in Israel geboren, begann mit 22 Jahren zu tanzen, trat in die Batsheva Dance Company in Tel Aviv ein, zog nach New York als Tänzer in Martha Grahams Company, studierte, choreografierte und wurde 1990 selber zum Künstlerischen Direktor der Batsheva Dance Company ernannt. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Vor wenigen Tagen gab er die Leitung ab: „Um weniger Verpflichtungen zu haben und mich mehr meinen Recherchen zu ,Gaga’ und zwei weiteren Unterrichtssystemen, die darauf basieren, zu widmen.“
„Ich lehre sie auch, eine Intention beim Bewegen zu haben, die mit ihrem Menschsein zu tun hat, nicht mit dem Tanzstudio. Es geht um Aktion; das Tanzen verbindet sich dann mit Lebenskraft, also jeweils auch mit Nachgeben, Loslassen, Feinheit, mit explosiver Kraft. Sie lernen, ihre Leidenschaft mit klarer Form zu verbinden, ihre Leistung mit Vergnügen, statt dass typische Tänzerambitionen sie antreiben. Es geht mehr um Instinktives, auch um Entdeckungsfreude. Darum geht es ja im Tanz überhaupt, glaube ich.“ Er erzählt von dem Probenmoment mit einer Tänzerin, die einem Kollegen auf die Brust hauen muss, erst klein, dann immer kräftiger. „Fühle, dass Du ihn damit wiederbelebst, du rettest ihm damit das Leben.“ Das half ihr gegen die Furcht, brutal zu sein. „Es wurde anders“, lobt Naharin. Die Tänzer sollen sich das Stück und ihre „Rollen“ darin wirklich zu eigen machen, so dass es lebendig wird und die Zuschauer nicht eine Choreografie, sondern die Tänzer betrachten, mit denen sie diesen Moment, diese Gegenwart teilen. „Das ist es doch, was einen bewegt!“ Naharins Assistenten haben die Tänzer auch in „Gaga“ unterrichtet, Naharins Bewegungsbewusstseinsmethode oder -sprache. Warum ist das nötig? „Sie sind schon gute Tänzer, aber...“ Das Grundverständnis von Tanz ändere sich, wenn Tänzer mal nicht mit Spiegeln im Studio trainieren. „Da hört man anders auf den Körper, seine Sinnesempfindungen, die Haut, die Gewebe, die Schwerkraft, die eigenen Kräfte.“ Beim „Gaga“-Improvisieren praktiziere man ein Nachdenken über Tanz, sein Wie und Warum. Tänzer könnten dann leichter mit Naharins Choreografie umgehen, aber auch mit jeder anderen Art von Tanz.
Der Titel? Solle wenig vorgeben, nur gut klingen und aussehen, sagt Naharin. „Sadeh, ist auf hebräisch ein Feld, romantisches Grün, Landschaft, Acker für Gemüse, Weizen, Sonnenblumen.“ Berufsfeld, Interessenfeld. Aber: „Das Feld ist hier eine Bühne, die ihr eigenes Universum schafft.“ Was Zuschauer darin sehen, stehe ihnen frei. Die Zahl: sei einfach eine Zahl, „kalt“.
Vom Soundtrack hat er soeben vier Musikstücke ausgetauscht. Brian Eno hatte ihm die Nutzung seiner Musik untersagt, denn er erklärte sich zum Unterstützer der BDS-Initiative, die Israel boykottiert. Naharins Antwort fruchtete nichts „Gerade ich bin doch bekannt dafür, dass ich die Politik meiner Regierung in den besetzten Gebieten kritisiere.“ Kritik und wirkliche Hilfe für die Palästinenser brauche mehr Aktivität als so ein kleines Musikverbot aus der Ferne. „Inzwischen bin ich froh über den Wechsel, das Stück ist besser geworden.“