Beide Königinnen sind Gefangene der Macht: Dariusch Yazdkhasti inszeniert Friedrich Schillers Trauerspiel „Maria Stuart“ als einen sehr klassisch wirkenden, hoch...
MAINZ. Am Ende stolpert eine Königin verlassen und verloren durch die Kulisse ihrer Macht, die für sie längst zum Gefängnis geworden ist. Die andere hat da bereits den Weg zum Schafott genommen – ist ungebrochen, aber viel zu früh, aus dem Leben geschieden. Daran, dass diese Staatsaffäre für keine der beiden Herrscherinnen gut ausgeht, lässt Friedrich Schillers „Maria Stuart“ von Anfang an keinen Zweifel. Es macht einen Großteil der Zugkraft des Trauerspiels aus, das Dariusch Yazdkhasti zum Spielzeitauftakt in Mainz in einer schnörkellosen Inszenierung auf die Bühne des Großen Hauses gebracht hat.
Was sich hier in etwa zwei Stunden ohne Pause abspielt – Yazdkhasti und seine Dramaturgin Carmen Bach haben den Klassiker klug gekürzt – ist zum einen die Tragödie zweier Frauen, die nicht aus ihrer Haut können. Und zum anderen ein Politthriller, der Fragen nach Verantwortung, Moral, gesellschaftlicher Paranoia und den Zwängen der Realpolitik aufwirft. Inhaltliche Anknüpfungspunkte für aktuelle Debatten ergeben sich dabei durchaus – allerdings ohne dass Yazdkhasti hier etwas gezielt hervorheben oder auf heutige Kontexte zuschneiden würde. In dieser Hinsicht ist seine „Maria Stuart“ geradezu betont klassisch. Wenn man wollte, könnte man das als fehlende Schwerpunktsetzung kritisieren – aber die Inszenierung ist zu stark, um sich daran länger festzubeißen. Sie verlässt sich ganz auf die Wirkung von Schauspiel und Bühnenbild – aber sie kann es auch, besticht immer wieder durch starke Bilder und emotional mitreißende Szenen.
Denn zum einen ist die Bühne, die Anna Bergemann für dieses Königinnen-Duell entworfen hat, so reduziert wie eindrucksvoll – und äußerst wandlungsfähig: Mal verengen sich sieben Rahmen zentralperspektivisch auf Elisabeth, die in ihrem Zentrum, am hintersten Punkt der Bühne, wie eine zum Herrschaftssymbol versteinerte Statue wirkt. Ein anderes Mal scheint eine riesige Sichtbetonwand nicht nur Marias Gefängnis, sondern auch ihren Handlungsspielraum klar zu begrenzen. Oder nebelgraue Schleier werden zur bildlichen Metapher des Versteckspiels, das Elisabeth und ihr langjähriger Favorit Leicester selbst in scheinbar privatesten Momenten betreiben. Wobei die historisierten, aber doch einer klaren, modernen Formensprache folgenden Kostüme (Josephin Thomas) stark zur Wirkung der szenischen Bilder beitragen, ebenso wie die unheilvoll-treibende Musik der Krautrock-Gruppe „N-1“.
Einblick in Grundzüge der Hinterzimmerpolitik
Zum anderen macht sich das Schauspielensemble diesen oft bewusst statisch gehaltenen Rahmen voll zu eigen und füllt ihn mit Leben: Weder Anika Baumann als Maria noch Hannah von Peinen als Elisabeth haben bei ihrem ersten Auftritt viel Bewegungsspielraum. Beide spielen ausschließlich frontal zum Publikum – Baumann an einen Stuhl gefesselt, Von Peinen in statuenhafter Machtpose – und bringen dennoch das, was ihre Figuren ausmacht, klar zur Geltung: Maria, die unverstellte, aber auch stolze, impulsive, unbedachte. Elisabeth, die kontrollierte, beherrschte, rationale, die zunehmend unter dem, was der Machterhalt von ihr fordert, leidet. Besonders eindringlich gespielt auch die Momente, in denen die Herscherrinnen die Fassung verlieren: Maria am Ende des Treffens mit Elisabeth, wenn ihr Kränkung sich in wüsten Beleidigungen Wort bricht. Elisabeth, kurz bevor sie Marias Todesurteil unterzeichnet – auch aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus: In Abwandlung ihrer Herrschaftspose vergräbt Von Peinen dabei ihre Hände im Kleid. Aber auch Henner Momann überzeugt als opportunistischer Leicester, genau wie Sebastian Brandes als realpolitischer Baron von Burleigh. Immer wieder hat man bei den Szenen an Elisabeths Hof das Gefühl, einen Blick in Mechanismen der Hinterzimmerpolitik zu werfen, die in Grundzügen gleich geblieben sind – was Burleighs Drängen, dass Elisabeth ihre Skrupel überwinden und dem Willen des Volkes nach Marias Tod endlich nachgeben möge, mit Blick auf aktuelle Populismusdebatten dann doch einen sehr aktuellen Anstrich verleiht.
Von Johanna Dupré