Figurentheatertage in Darmstadt

Ein Huhn namens Sybille ist Star der Gruppe "Picante" bei den Figurentheatertagen.

Wo Hühner Stars sind: Viele Besucher erleben die Figurentheatertage in der Bauwagensiedlung Diogenes am Rande von Bessungen.

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DARMSTADT. Es liegt stets ein Zauber über der Bauwagensiedlung Diogenes, wenn dort im Sommer die Figurentheatertage stattfinden. Am Nachmittag tummeln sich viele Kinder im Waldbereich auf dem großen Gemeinschaftsplatz der Siedlung, am Abend belegen Erwachsene die Plätze vor der Bühne. Es herrscht ein reges Treiben, das kleine Zelt, mit schwarzen Tüchern abgehängt, sorgt auch am Tag für Dunkelheit auf dem Bühnenraum und platzt oft aus allen Nähten.

Die wohlige Enge passt zu den dichten Geschichten, die hier erzählt werden, oft müssen die Zuschauer den Künstlern so nahe sein, um alles mitzubekommen. Es sind die feinen Bewegungen, die Nuancen, die das Spiel mit den Puppen so besonders machen. Wenn Anna Rosenfelder vom Theater Papilio das schwere Buch auf ihren Knien aufschlägt, kommen erst hauchzarte Papierbuchstaben zum Vorschein, einer nach dem anderen, die den so berühmten Satzanfang ergeben: "Es war einmal." Die größeren Kinder lesen laut mit. In "Die Mondtücher" tauchen dann Seite um Seite eine Kröte auf, ein silbern glänzender Mond, kleine Papierboote und schließlich ein Äffchen. Was sich daraus wohl entwickelt?

Ganz nah drängen sich zuvor viele neugierige Kinder um ein merkwürdiges Huhn, das eine etwas altmodische Dame, Frau Huber, an der Leine durchs Gelände der Bauwagensiedlung spazieren führt (Theater Picante). Ein gackerndes Federvieh in orangefarbenen Strümpfen und komischen Schuhen. "Vorsicht, Kinder", ruft die Dame mit spitzem Ton, "das ist Sybille", ja, das Huhn heißt Sybille, und ab und zu muss es ganz in Ruhe gelassen werden, vielleicht legt es ja ein Ei. "Bokbokbok", kommentiert Sybille, aufgeregt laut zu Frau Huber, und kuschelzart zu den Kindern, wackelt wohlig, wenn diese es ausgiebig streicheln.

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Am Freitagabend mischte Sunna Huygen in ihrem Kabarett "Horizont - Geschnitten oder am Stück" Politik mit Poesie. "Mich interessieren Themen wie Klimawandel, Sexismus und Feminismus", erzählt sie. "Wichtig sind dabei nicht die Zahlen und Fakten, sondern das, was ich dabei fühle. Was macht das mit mir, der Rechtsruck, oder wenn es immer weniger Vögel gibt?" Das drückt sie lyrisch aus in oft trauriger Poesie, ehrlich, klug, ergreifend.

In vielen Theaterstücken spielt die Musik als stimmungsvolles Element eine tragende Rolle. Ein Musiker war mit von der Partie beim Theater der Dämmerung. Die Musikerin Alexandra Lupidi intoniert gleich zweimal auf der Bühne - in den Stücken für Erwachsene mit Laurie Cannac (Schneewittchen) und beim Theater Meschugge mit Suska Kanzler und der Figurendarstellerin Ilka Schönbein am Samstagabend: "Weißt du was? Dann tanze jetzt!". Auch hier erkennt man das Zucken der filigranen Puppe, die sanfte Kopfbewegung, die Bände spricht, besonders aus der Nähe. Die Spielerinnen verstehen es, einen magischen Raum zu schaffen, im Übergang vom Leben zum Tod.

Ilka Schönbein führt ihre Puppen ganz nah am eigenen Körper entlang, manchmal ist es nur ein handtellergroßer Kopf, dessen Ausdruck alle Zeiten in sich eint, dazu überlange Finger, deren Glieder gegeneinander gestoßen ein Klappern erzeugen, ein Zittern; die sich in fließenden Übergängen als anmutiger Körper formieren oder als Flügel, die schließlich den Kopf umschließen und ihn forttragen: "Alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Zeit", ein mehrstimmiges Singen gleitet über in Meeresrauschen, Schlagwerk, Bratschentöne, Monochord, dann ist da nur noch der Atem der Welt.