Ensemble Theaterlust zeigt "Der Glasschrank" in Darmstadt
Betrogene Betrüger: Gelungene Premiere des Mundart-Schwanks in der Inszenierung von Iris Stromberger
Von Petra Neumann-Prystaj
Widerstand vergrößert die Anziehungskraft: Elinor Stromberger und Michael Kutzera im "Glasschrank". Foto: Karl-Heinz Bärtl
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DARMSTADT - Wie arm oder geizig muss eine Hausfrau sein, die ihre Tochter zum Metzger schickt, um für fünf Pfennige "Worschtschnippel" zu kaufen - angeblich für den Hund. Wo doch jeder weiß, dass die Familie gar keinen besitzt. Beim Verdrehen klitzekleiner Tatsachen kennt Frau Brückmann (Iris Stromberger) keine Skrupel, ihre Tochter Lotte (Saskia Huppert) schon eher. Gleich zu Beginn der Mundart-Komödie "Der Glasschrank" bekommt das Publikum Einblicke in das Milieu einer kleinbürgerlichen Familie in Alt-Darmstadt, die bald vor lauter Geldgier nicht mehr gerade denken kann.
Den Schwank aus dem Jahr 1920 hat zwar der Heimatdichter Heinrich Rüthlein geschrieben, aber entstaubt und mit Bonmots gepfeffert wurde er von Robert Stromberger, dessen Stärke es war, Mundart mit Humor und tieferer Bedeutung zu würzen. Bei der Premiere am Samstag konnte der im Arheilger "Weißen Schwan" in einem detailgetreuen Bühnenbild aufgeführte "Glasschrank" erneut amüsieren und belehren. Und wieder war es ein Familienunternehmen. Schon vor 19 Jahren hatte Iris Stromberger das Stück fürs Staatstheater inszeniert, damals noch mit der Hessischen Spielgemeinschaft und ihrem Sohn Fabian, der als einer der Schlosserlehrbuben schauspielerische Begabung ahnen ließ.
Im Remake von 2019, diesmal mit Strombergers Privatbühnenensemble "Theaterlust", spielt Fabian Stromberger den aalglatten Herrn Hecht mit der fiesen Lache und dem pomadigen Haar, von dem einmal gesagt wird: "Wo der ins Wasser guckt, da sterbe die Fisch."
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Nächste Aufführungen am Mittwoch, 23. Oktober, und Donnerstag, 24. Oktober, sowie am 3. und 10. November und am 15. Dezember. Auch 2020 wird "Der Glasschrank" noch zu sehen seien. Voverkauf unter Telefon 06151-2765051 sowie beim Darmstadt-Shop im Luisencenter. Internet: www.theater-lust-darmstadt.de. (red)
Hecht gaukelt zwei miteinander befreundeten Familien vor, dass sie im Besitz eines wertvollen Schranks seien. Da der Glasschrank aus zwei Teilen besteht, ergeben sich durch deren Hin- und Hertransport von Familie Brückmann zu Familie Langberger und umgekehrt, durch Verkauf und Rückkauf viele komische Situationen. Die Ehrlichkeit der biederen Kleinbürger wird auf die Probe gestellt, und sie versagt, sobald die Familien einen finanziellen Vorteil wittern. "Die Pharisäer sind unter sich", heißt es treffend. Aber einer muss halt immer bezahlen, und das ist ausgerechnet der brave Untermieter Anton Klappächer (Armin Horneff), der sich aus allem heraushalten wollte.
Iris Stromberger glänzt in der Doppelrolle der energischen Frau Brückmann und der etwas zurückhaltenderen Frau Langberger. Beide sind Hausfrauen, die mit weiblicher Raffinesse durchs Eheleben steuern. Edmund Brückmann (Harald Mehring) ist von seiner Wichtigkeit als Polizeibeamter durchdrungen und doch leicht mit Geld korrumpierbar. Arno Huppert als Brückmanns bester Freund Langberger lässt sich zunächst widerstrebend auf den Glasschrank-Handel ein, nimmt dann aber Fahrt auf und riskiert eine 40 Jahre alte Freundschaft. Der Schrank, um den es geht, und der auch schon 2000 auf der Bühne gestanden hat, ist übrigens ein schwerer Zweiteiler. Der An- und Abtransport von Unterschrank und Glasvitrine gerät zum Running Gag, der dank der drei unterschiedlichen Schrankträger-Paare immer ein wenig variiert. Die heiratsreifen Töchter der beiden Familien - Saskia Huppert und Elinor Stromberger - hätten so gern einen Mann, trauen sich aber nicht, aufs Ganze zu gehen. "Was hab' ich von em Mädche, wann ich nix derf", ärgert sich Verehrer Paul Spieß (Michael Kutzera). Bernd Salm als Antiquitätenhändler holt die Familien mit seiner nüchternen Schrank-Expertise auf den Teppich der Tatsachen zurück.
Das flott inszenierte Mundartstück ist an zitierfähigen Sätzen fast so reich wie der "Datterich". Es gab viele Bravo-Rufe für den sorgfältig von Profis und Amateuren monatelang einstudierten Schwank. Die Privatbühne "Theaterlust", vor einem Jahr mit dem "Datterich" angetreten, hat der Darmstädter Theaterlandschaft einen weiteren Farbton hinzugefügt.