Claudia Bossart im Gespräch über die Premiere „2666“
Die Schweizer Regisseurin bringt in den Kammerspielen des Darmstädter Staatstheaters eine Adaption von Roberto Bolanos Mammutroman heraus. Premiere ist am Sonntag, 7. Oktober.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Die Schweizer Regisseurin Claudia Bossard inszeniert zum ersten Mal in Darmstadt.
(Foto: Lupi Spuma)
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DARMSTADT - Die Schweizerin Claudia Bossard (Jahrgang 1985) hatte nach Assistenzen in Bern und Graz erste Erfolge als freie Regisseurin vorzuweisen, als der Darmstädter Schauspieldirektor Oliver Brunner von ihr hörte. Beim künstlerischen Kennenlernen fragte er sie, was sie denn gern mal inszenieren würde. Eine Theateradaption von Roberto Bolanos Roman „2666“, lautete die Antwort. Völlig verrückt.
Das Buch besteht eigentlich aus fünf Büchern, hat über 1000 Seiten, viele hundert Figuren, handelt von Germanisten, die einen deutschen Literaten suchen, und einer monströsen Mordserie in einer eigentlich fiktiven Stadt, die aber unverkennbar die mexikanische Grenzmetropole Ciudad Juarez ist. Ein „eigentlich unspielbarer Text“, schreibt nun auch das Staatstheater.
Elfeinhalbstunden-Fassung in Avignon
Na gut, das Festival in Avignon hat 2016 eine Elfeinhalbstunden-Fassung gezeigt. Aber im Prinzip: Lauter gute Gründe, was anderes zu machen. Doch nun hat „2666“ am Sonntag, 7. Oktober, in den Kammerspielen Premiere. Keine zwei Stunden soll die Aufführung dauern. Und es braucht auch nur vier Schauspieler auf der Bühne – und noch Ernest Allan Hausmann via Video. Ziemlich verwegen.
ZUR PERSON
Roberto Bolano Avalos (1953–2003) wuchs in Chile auf, lebte von Mitte der Sechziger bis 1973 in Mexiko. Er kehrte nach Mexiko zurück, wurde nach dem Putsch gegen Salvador Allende gefangen genommen und emigrierte über El Salvador und Mexiko 1977 nach Spanien, wo er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Erst 1998 gelang ihm mit „Die wilden Detektive“ der Durchbruch. Bolano starb an Leberzirrhose. Das Mammutwerk „2666“ erschien postum, ebenso wie der Roman „Die Nöte des wahren Polizisten“ (beide im Hanser-Verlag), in dem eine Figur aus „2666“ die Hauptrolle spielt. (sb)
Der Chilene Roberto Bolano (1953–2003), der noch über der Endkorrektur seines Mammutwerkes starb, erzählt in fünf Teilen von einem deutschen Literaten, der irgendwo in Mexiko verschwunden sein soll, von vier Germanisten, die ihn dort suchen, von einem mexikanischen Philosophieprofessor, seiner Tochter und einem amerikanischen Journalisten. Vor allem aber schreibt er über 400 Seiten journalistisch ausführlich über eine monströse Serie von Frauenmorden, die an hunderte solcher Taten in Ciudad Juarez seit Anfang der Neunziger erinnert.
„Diese detaillierten Grausamkeiten aus dem Roman würden in einer Eins-zu-eins-Bebilderung auf der Bühne immer eine unglaubwürdige Behauptung bleiben“, sagt Claudia Bossard im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir versuchen das mit anderen Mitteln. Man muss eine Übersetzung dafür finden. Der Roman oszilliert und assoziiert ja, wuchert wie wild von einer Geschichte zur nächsten. Es ist über 1100 Seiten eine obsessive Suche nach dem Bösen, das sich rizomartig ausbreitet. Wir aber erzählen im Grunde simpel.“
Mona Kloos und Bela Milan Uhrlau verkörpern zwei Literaturwissenschaftler, Christian Klischat ist der Philosophieprofessor, Annabel Möbius seine Tochter. Das muss reichen. Sie habe angefangen, „mit den Schauspielern durch den Roman zu reisen“, erzählt Bossard. Das sieht man dem Buch auch an. Es ist zerfleddert, steckt voller Zettel.
Die Regisseurin hat es aber nicht bei einer intensiven Lektüre bewenden lassen. Sie ist auf einer Reise von Tucson nach New Orleans im amerikanischen El Paso und dem benachbarten Ciudad Juraez vorbeigefahren, hat also die Reise der Germanisten im Buch nachvollzogen. Ein ungewöhnlicher Aufwand.
Aber es soll im Staatstheater ja auch gerade um den europäischen Blick auf diese Grenzstadt gehen, auf eine globalisierte Transitzone für Drogen und Menschen zwischen enthemmter Gewalt im mexikanischen Süden und Hyperkapitalismus im amerikanischen Norden. Mit blutigem Realismus wie etwa in Denis Villeneuves abgründigem Kinothriller „Sicario“ lässt sich dieser Moloch auf der Bühne kaum bannen. Entsprechend ist die Bühne von Daniel Wollenzin bonbonbunt mit einem mächtigen Totenkopfbild.
„Es ist mexikanische Kultur, wie wir sie uns im Ausverkauf vorstellen“, sagt Bossard. Die beiden europäischen Gelehrten, die sich in der Geschichte verirren, sind dem Zuschauer an diesem Abend am nächsten: „Sie sind der Schlüssel“, sagt Claudia Bossard. Und das Theater verspricht in seiner Ankündigung: „Es verschlägt ihnen die Sprache, schwere Träume überrollen sie, die Spurensuche wird zum Drogenrausch und Geistertrip.“