Vorauseilende Virtuosin Grimaud beim Rheingau Musik Festival im Wiesbadener Kurhaus
Fein nuanciert bis sehr kraftvoll – so spielt die französische Pianistin Hélène Grimaud mit dem Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden das erste Brahmsche Klavierkonzert. Nicht immer gelingt jedoch der zeitgleiche Einsatz von Orchester und Solistin.
Von Nina Waßmundt
Volontärin
Fühlt Brahms: Hélène Grimaud arbeitet mit feiner Nuancierung am ersten Klavierkonzert.
(Foto: RMF/Ansgar Klostermann)
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WIESBADEN - „Wenn du Brahms hörst, findest du deinen Frieden. Es führt dazu, dass du menschlicher empfindest“, sagt die französische Pianistin Hélène Grimaud. Sie muss es wissen. Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich intensiv mit Brahms. Es ist bekannt, dass sie alle Nuancen ihres Empfindens in seiner romantischen Klangwelt wiederfindet. 2013 hat sie eine Einspielung seiner beiden Klavierkonzerte veröffentlicht. Bei ihrem komplett ausverkauften Konzert mit dem Gstaad Festival Orchestra unter der Leitung von Jaap van Zweden stand nun auch Brahms im Zentrum. Gewaltig und ergreifend ist das erste dreisätzige Klavierkonzert. Der 21-jährige Brahms komponierte es unter dem Eindruck von Robert Schumanns Suizidversuch und seinen Gefühlen zu Clara Schumann, wenn er im Dezember 1856 an die Witwe schreibt: „Auch male ich an einem sanften Porträt von Dir, das dann Adagio werden soll.“ Dieses Porträt arbeitet Grimaud im zweiten Satz in großen Bögen, fein nuanciert bis sehr kraftvoll heraus. Sie stellt ihre beeindruckende Virtuosität in den Dienst der Musik. Die 48-Jährige, die seit 2000 regelmäßig beim Rheingau Musik Festival gastiert, kann sich an zarten Stellen auch zurücknehmen. Als Linkshänderin treten die tiefen Bassklänge stark hervor. Zum Glück aber nicht so dominant, dass die melodischen Bögen der rechten Hand immer noch alles überstrahlen.
Fünf Minuten dauert die orchestrale Einleitung, bevor sich die Pianistin in die sinfonische Struktur einbringen kann. Grimauds erster Solopart ist schwierig, mit vielen Oktavsprüngen. Bisweilen beschleicht den Hörer das Gefühl, als zügele der Dirigent die Kräfte seines Organs noch, das aus 74 der besten Musiker aller führenden Schweizer Orchester besteht. Außerdem ist van Zweden damit beschäftigt, dem Tempo der im ersten Satz noch etwas eigenwilligen Pianistin zu folgen. Bei schnellen Läufen verläuft der Einsatz mit dem Orchesterapparat nicht immer zeitgleich. Insgesamt erklingt aber eine Interpretation, die wohltuend viel Raum lässt, sich zu sehnen. Obwohl Grimaud unter anhaltendem Applaus fünfmal auf die Bühne kommen muss, spielt sie keine Zugabe.
Jaap van Zweden hält seine Musiker eng beisammen
Bei der Sinfonie Nr. 1 in c-Moll merkt man, wie eng van Zweden seine Musiker beisammen hält, wenn alle Streicher in einer herausragenden Präzision zusammen pizzicato zupfen. Bei dem einzigen Deutschlandkonzert in diesem Jahr zeigt das Orchester eine differenzierte, dramatische Klangsprache. Das Publikum applaudiert ehrfürchtig. Und geht mit dem Gedanken nach Hause, dass Brahms als Mensch genauso haderte wie wir heute.