Unter der Leitung von Jorin Sandau erklingen die „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz in der Darmstädter Kirche St. Ludwig.
DARMSTADT - Es muss ein eindrucksvoller Moment gewesen sein, als der prächtige Sarg des Grafen Heinrich Posthumus Reuß 1636 zu den Klängen von Heinrich Schütz‘ „Musikalischen Exequien“ aus der Kirche getragen wurde. Zwei Chöre, einer in der Nähe des Sarges platziert, der andere aus der Ferne singend wie aus dem himmlischen Elysium, intonierten die Heilszusage nach den Worten des Heiligen Simeon.
Der Graf hatte die eigene Begräbnisfeier detailliert geplant. Wie viele Menschen seiner Zeit übte er sich fleißig in der im Mittelalter aufgekommenen „Ars moriendi“ – der Kunst, dem Tod gebührend vorbereitet entgegenzutreten. Das Datum seiner Begräbnisfeier sowie die Bibelzitate und Liedtexte, die den prachtvollen Kupfersarg zierten, hatte er selbst ausgewählt. Schütz dienten sie als Vorlage für seine Trauermusik.
Am Samstag, dem Tag von Allerseelen, erklangen die „Musikalische Exequien“ in der Innenstadtkirche St. Ludwig. Interpretiert wurden sie vom Bolongaro-Sextett, dem Vocalensemble Darmstadt und dem Ensemble La Tirata unter der Leitung von Jorin Sandau.
Maßstäbe setzte die Aufführung nicht allein aufgrund ihrer glänzenden musikalischen Qualität, sondern weil es gelang, die historische Distanz zu überwinden und den Zuhörer tief eintauchen zu lassen in die geistige Welt des 17. Jahrhunderts. In Schütz’ Musik spiegelt sich das Spannungsverhältnis von tiefer Religiosität und der Allgegenwart des Todes in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges.
Zwischen dem Vocalensemble Darmstadt und dem aus Sabina Vogel und Stephanie Muhl (Sopran), Eva Leonie Stüer (Alt), Alexander Keidel und Gabriel Heun (Tenor) und Jakob Zscheischler (Bass) bestehenden Bolongaro-Sextett entfaltete sich ein eindringlicher Wechselgesang. Mit prägnanter, packender Diktion gestalteten die Solisten die Bibeltexte, während der Chor mit warm aufleuchtender Stimmgebung die Liedstrophen intonierte. Schlank und gerade geführt, mit kaum wahrnehmbaren Vibrato erschienen die Stimmen des Solo-Ensembles ideal besetzt, um die kunstvolle Polyphonie des frühbarocken Werkes zu gestalten.
Jorin Sandaus zwingendes Dirigat hielt die Musik stets in der Schwebe zwischen Bedrängnis und Heilgewissheit. Mit überzeugend gewählten Tempi und prägnanten Übergängen verlieh er der Trauermusik höchste Lebendigkeit, so wie es ihrem innersten Charakter entspricht. Das Heilsversprechen entzündet in Schütz‘ Musik eine Freude, die eine unbändige Vitalität ausstrahlt.
Dass die Zeitreise ins 17. Jahrhundert so überzeugend gelang, war nicht zuletzt das Verdienst des Ensembles La Tirata (Renate Mundi – Viola da Gamba, Yoshio Takayanagi-Theorbe und Torsten Mann – Orgel), das auf historischen Instrumenten frühbarocke Klangwelten erstehen ließ, die den Zuhörer augenblicklich in den Bann zogen.
Den zum Konzertabschluss dargebotenen „Musikalischen Exequien“ war weitere Trauermusik des Barocks und der Renaissance vorangestellt. Einen Höhepunkt bildete Bachs Motette „Jesu, meine Freude“. Auch hier verband sich hohe Stimmkultur mit bewegender Ausdruckskraft. Tiefe Spiritualität sprach aus dem Chorsatz „Circumdederunt me“ von Christobal de Morales, in dem das Bolongaro Sextett das Schattenreich des Todes in düsteren Farben heraufbeschwor. Ebenso plastisch wurde die Szenerie in dem einzigen Instrumentalwerk des Abends: In Marin Marais „Tombeau pour Mr. de St. Colombe” zeichnete das „Ensemble La Tirata“ das Begräbnis des französischen Gambisten so bildhaft, dass man in den Tonrepetitionen das Läuten der Totenglocke zu hören meinte.