Berührungsängste sind ihm fremd: Der schwedische Jazzer Nils Landgren spielt im Wiesbadener Kurhaus die Musik von Leonard Bernstein.
WIESBADEN - Gemeinhin setzt Nils Landgren bei seinen Konzerten auf Tanzfreudigkeit und lässt den Funk(en) aufstieben: Beherrscht der polyglotte Musiker mit dem schelmischen Lächeln doch gekonnt das Doppelpass-Spiel zwischen Unterhaltungs- und Improvisationskunst. Was dem Schweden wiederum die Aufmerksamkeit eines für den Jazz erstaunlich großen Publikums beschert hat. Das nun weiter wachsen dürfte: Hat sich Landgren doch für sein Konzert in Wiesbaden der Musik Leonard Bernsteins („Lenny“) angenommen und dessen Klassiker für Orchester einrichten lassen. Vor seinem Auftritt mit der Russischen Kammerphilharmonie und Manhattan Transfer-Sängerin Janis Siegel beim Rheingau Musik Festival hat diese Zeitung mit dem erfolgreichsten europäischen Posaunisten gesprochen.
Herr Landgren, erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Begegnung mit Bernsteins Musik?
Das muss Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gewesen sein. Da lief die US-Originalfassung der West Side Story im schwedischen Fernsehen mit Natalie Wood und all den anderen Künstlern.
Was macht Bernsteins Musik so besonders?
Seine Musik ist sehr vielfältig, teilweise auch sehr tiefsinnig, doch zugleich stets zugänglich und sehr melodiös. Teilweise verlangt sie auch viel vom Zuhörer, denn es ist eine anspruchsvolle Musik…
… ist Klassik denn nicht immer anspruchsvoll?
Klar – er hatte aber eben immer auch den Anspruch, Menschen diese klassische Musik zu eröffnen. Bernstein kannte ebenso wenig Angst vor zugänglichen Melodien wie vor zeitgenössischen Themen – denn nichts anderes hat er ja etwa in der West Side Story aufgegriffen, die bis heute noch aktuell ist. Und wie er dieses Thema umgesetzt hat, das passt auch in unsere Zeit.
Nun hat Bernstein neben der Klassik auch den Jazz sehr geschätzt, ja sogar selbst Jazz gespielt – und ist damit doch ziemlich singulär geblieben. Warum gibt es bis heute so viele Berührungsängste von klassischen Musikern und Komponisten gegenüber dem Jazz?
Wenn ich das wüsste… Ich höre oft klassische Musiker sagen: „Ich würde ja gern improvisieren, aber ich kann das nicht“. Und im Gegenzug sagen Jazzmusiker: „Ich würde sehr gern ein klassisches Stück spielen, aber das traue ich mich nicht“. Insofern scheint es viel Respekt zu geben – wobei der durchkomponierten, notierten Musik nach wie vor mehr Bedeutung beigemessen wird als der improvisierten.
Zumindest hierzulande. Ganz anders erleben Sie das immer wieder in Kenia, wo Sie sich mit Ihrer Funk Unit seit einigen Jahren in Kibera engagieren, einem Slumviertel in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. „Eine gigantische Müllhalde“, wie Sie selbst sagen, auf der eine Million Menschen leben. Was kann ein einzelner Mensch dort bewirken?
Erst einmal haben meine Band und ich für uns festgestellt, dass wir alle etwas bewegen können – auch wenn es nur ganz, ganz klein ist. Wir haben selbst vor Ort gesehen, wie sehr etwa die „Ärzte ohne Grenzen“ den Leuten helfen, die sie kostenlos behandeln – und damit vielen Kindern ihre Eltern retten, denn jeder Vierte dort leidet unter todbringenden Krankheiten wie Cholera, HIV, Tuberkulose oder Malaria.
Wie helfen Sie konkret?
Wir spenden einen Teil der Einnahmen von jedem verkauften Album an „Ärzte ohne Grenzen“ – und haben damit die Gewissheit, dass ein Teil dieser Menschen gerettet wird und vielleicht sogar ein besseres Leben führen kann. Zudem wollen wir den Kindern dort durch Musik die Chance auf ein besseres Leben geben…
…und bringen dafür gespendete Musikinstrumente nach Kibera, die sie den Kindern zur Verfügung stellen.
Ja, denn Musik ist ja eine universelle Sprache, die jeder verstehen kann, ohne zu reden – und das ist ein ganz entscheidender Punkt: Wer etwas vermitteln kann mit und durch Musik, der kann sogar seine eigene Situation verändern. Und das wollen wir gern den Kindern dort zeigen: Wir geben ihnen die Werkzeuge an die Hand und sie lernen, diese zu benutzen.
Und haben damit offenbar einen Nerv getroffen.
Ja, alle Kinder, die beteiligt sind an diesem Projekt, sind noch immer dabei und haben mittlerweile auch kleine Orchester gegründet. Und wir selbst fahren immer mal wieder nach Kibera und nehmen dann so viele Musikinstrumente mit, wie wir mitschleppen können – und treffen uns dann auch mit den 200 Mädchen und Jungen einer Waisenschule, in der wir dafür sorgen, dass die Kinder dort jeden Tag zu essen bekommen.
Das Interview führte Christoph Forsthoff.