Auf Einladung der Chopin-Gesellschaft gastierte die in den USA lebende Musikerin am Freitag in der voll besetzten Orangerie.
DARMSTADT - Mit einer seltenen Mischung aus kraftvoller Athletik und meditativer Innerlichkeit setzte die Pianistin Kate Liu, die am Freitag auf Einladung der Chopin-Gesellschaft in der vollbesetzten Orangerie ihr Deutschland-Debüt gab, das Publikum in Staunen. Seit dem Gewinn der Bronzemedaille beim renommierten Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau, ist die 1994 in Singapur geborene, in den USA lebenden Pianistin eine international gefragte Solistin.
Das Programm, mit dem sie sich in Darmstadt vorstellte, war erstaunlich breit gefächert: Auf Tschaikowski, Brahms, Bach, Beethoven folgten Rachmaninow, Chopin und Liszt. Einen roten Faden ließ der bunt zusammengewürfelte Komponistenreigen nicht erkennen, doch lieferte er der Interpretin die Möglichkeit, ihre musikalische Vielseitigkeit bravourös zu demonstrieren.
Bei jedem Komponisten schien sich Liu gleichermaßen zu Hause zu fühlen. Mit ungewöhnlichem musikalischem Feingefühl beschenkt, modellierte sie jedes Werk mit vollendetem Geschmack. Bei der Interpretation von Auszügen aus Tschaikowskis "Jahreszeiten" und den "Vier Balladen", op. 10 von Brahms beeindruckte der Nuancenreichtum ihres Anschlags, der selbst im zartesten Pianissimo noch reiche Abstufungen bereithielt.
Da wird Bach
zum Erlebnis
Außergewöhnlich war auch ihre Phrasierungskunst. Die hellsichtige Stimmführung machte besonders Bachs "Präludium und Fuge in As-Dur, WTC Band I" zum Erlebnis, deren luzide Polyphonie eine ungeheure Vitalität und Frische barg. Feinsinnig gezeichnet war auch Beethovens späte Sonate in As-Dur Op. 110, in der die Pianistin das vergeistigte-transzendente Piano ebenso überzeugend pflegte wie das kraftgeballte Muskelspiel des Forte.
Dass trotz dieser fulminanten Spielkultur Lius Beethoven-Interpretation nicht restlos überzeugte, lag daran, dass in ihrer Farbpalette einige entscheidende emotionale Töne fehlten: Grellheit des Schmerzes und Stumpfheit der Resignation kamen ebenso wenig vor wie heitere Helligkeit und die leuchtende Glut wahrer Passion. Diese Farbtöne vermisste man auch bei Tschaikowski und Brahms, die allzu gleichbleibend in den Ton des Lyrischen gekleidet waren.
Am stärksten wirkte das Spiel der Pianistin daher in den Werken, die sie zu äußerster Expressivität herausforderten und ihr nicht gestatteten, allein im Poetischen zu verweilen. Überwältigend war der Eindruck den ihre glutvolle Interpretation von Rachmaninows "Etude-Tableau op. 39 Nr. 5 " machte, atemberaubend ihr furioser Zugriff auf Liszts "Transcendental Etude Nr. 10".