Der Darmstädter Gitarrist macht beim Winterjazz-Festival nicht mehr mit. Die Zeche für das renommierte Projekt müssten Musiker und freie Veranstalter zahlen, sagt er.
DARMSTADT. Um deutliche Worte war Obo noch nie verlegen. Das „dazz“-Festival im Januar sei vor allem „ein kostenloser Imagegewinn für Stadt und Land“. Die Zeche dafür müssten Musiker und freie Veranstalter zahlen, wettert der Gitarrist und Komponist in einem offenen Brief und setzt nach: „Wir Kulturschaffenden sind keine Sklaven einer unausgegorenen Kulturpolitik!“
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Dabei geht es um eine Initiative, die nicht von der Kulturpolitik kommt. Jeweils im Januar bündeln Darmstädter Veranstalter ihre Kräfte für zehn Tage voller Musik. Auf diese Weise öffnet das Winterjazz-Festival ein Schaufenster der Stile und unterschiedlichen Veranstaltungsorte, die jeweils ihr eigenes Stammpublikum haben, aber im Verbund auch neue Zuhörer anziehen. Neben Centralstation, Knabenschule und Jazzinstitut sind unter anderem Agora-Kultur und Hoffart-Theater, „Zucker“ und Jazzclub dabei, auch der historische Wasserturm an der Bismarckstraße und sein Betreiber Obo waren bislang mit von der Partie.
Aktuell wird für Januar 2021 das Programm unter schwierigen Bedingungen und mit ungewissen Aussichten festgezurrt, aber Obo macht nicht mehr mit. „Gut gemeint, aber nicht weiter gedacht“ nennt er die Initiative. Kleine Veranstalter, klagt er, hätten kein Budget, um angemessene Gagen für die Auftritte zu zahlen, sie seien neben Künstlern und Veranstaltern die Verlierer der aktuellen Situation. Zudem sei die hygienegerechte Planung mit hohen Kosten verbunden. „Ich habe meine Veranstaltungsstätte Wasserturm eingemottet und warte auf bessere Zeiten“, schreibt er.
Vor allem seine Bemerkung, „die Kirchen mit ihren hohen staatlichen Steuersubventionen“ könnten sich den Konzertbetrieb leisten, erregt den Widerspruch des Stadtkirchen-Kulturpfarrers Karsten Gollnow. Er bietet dem Jazz eine regelmäßige Bühne und ist auch bei „dazz“ dabei. In Obos Kritik erkennt er „fröhliches Kirchen-Bashing ohne Sachkenntnis“. 7500 Euro, rechnet Gollnow vor, bekommt er vom Evangelischen Dekanat fürs ganze Kulturjahr, in dem er 40 bis 50 Abendveranstaltungen anbietet. „Das reicht gerade fürs Drucken und Kleben der Plakate und für die Programmhefte“, sagt er. Ansonsten müssen alle Veranstaltungen kostendeckend finanziert werden, vor allem aus Eintrittsgeldern. „Das finanzielle Risiko trägt die Kirchengemeinde ganz allein“, die mit ihren verbliebenen 2500 Mitgliedern von der Landeskirche dieselben Zuweisungen erhält wie manche Landgemeinde im Odenwald – und das mit einem Riesenbau wie der Stadtkirche, in der schon die Heizkosten mächtig zu Buche schlagen. Die Kultur einzumotten und auf bessere Zeiten zu warten, nennt er unsolidarisch. Künstler hätten gerade in diesem Herbst die Risikobereitschaft gewürdigt, die Veranstaltungen erst möglich gemacht hätten.
Auch die Koordinatoren des Festivals nennen Obos Vorwürfe „unfair und falsch“. Die aktuellen Umstände seien „gleichermaßen frustrierend und kräftezehrend – für die freie Szene, aber auch für die sogenannte institutionalisierte Kultur“, schreiben Meike Heinigk (Centralstation), Arndt Weidler (Jazzinstitut) und Bernd Breitwieser (Knabenschule) in ihrer gemeinsamen Antwort an Obo. Sie sehen das „dazz“-Festival als „solidarisches Format, in welches sich alle Akteure nach ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen einbringen können, um zusammen etwas Besonderes zu schaffen.“
Das Mosaik der Veranstaltungsorte wird bei der fünften Auflage etwas kleiner sein, der Keller des Jazzinstituts beispielsweise ist für Konzerte nach den aktuellen Regeln entschieden zu klein. Also tun Centralstation und Knabenschule das, was sie seit dem Sommer als unaufgereten Akt der Solidarität schon praktizieren – sie stellen ihre Räume den kleineren Veranstaltern zur Verfügung. Das Jazzinstitut geht mit seinem Jazztalk in die Centralstation, der Jazzclub aus dem Achteckigen Haus wahrscheinlich in die Knabenschule. „Aber es bleiben noch einige weitere Orte übrig“, erzählt Weidler. Hoffart-Theater und Literaturhaus sind dabei, auch das Rex-Programmkino macht wieder mit.
Der Darmstädter Obo aber nicht. Seine Kritik an „dazz“ hat ihre Wurzel in einer tieferen Unzufriedenheit: Dem Mann aus dem Wasserturm geht es um die Lage der unabhängigen Veranstalter, der freischaffenden Künstler – und auch um eine städtische Kulturpolitik, die seiner Ansicht nach viel kreativer sein müsste in der Unterstützung der Kulturszene. Obo wird weiterhin Impulse geben, damit sich etwas ändert: „Wenn etwas im Argen liegt“, sagt er, „spiele ich gerne auch den Störenfried.“