Die Kunst der Improvisation lebte in der Innenstadtkirche St. Ludwig wieder auf: Johannes Mayr begleitete den amerikanischen Film „Der Glöckner von Notre Dame“ an der Winterhalter-Orgel.
DARMSTADT - Die Kunst der musikalischen Improvisation zum Stummfilm lebte am Montag in der Innenstadtkirche St. Ludwig wieder auf, als der Domorganist Johannes Mayr aus Stuttgart den amerikanischen Monumentalfilm „Der Glöckner von Notre Dame“ aus dem Jahr 1923 an der großen Winterhalter-Orgel begleitete. Mayr zog im wahrsten Sinne des Wortes alle Register des vor 13 Jahren geweihten Instruments, um den reichhaltigen Facetten des zweistündigen Filmdramas nach dem Roman von Victor Hugo gerecht zu werden.
In diesem eindrucksvollen „Orgelkino“ gelang es dem Interpreten, einen weiten musikalischen Spannungsbogen über die Handlungsstränge zu ziehen. Dass die Kirche Notre Dame de Paris eigentlich im Mittelpunkt des Werks steht, wird im Bild mit den vielfältigen Ansichten des Bauwerks ebenso deutlich wie in der Musik, die den sakralen Hintergrund des mittelalterlichen Geschehens beispielhaft auffängt. Der Trubel des Narrenfestes zu Beginn spiegelt sich ebenso in den kühnen Klängen wie die Bedrohlichkeit der Massenszenen des Bettleraufstands zum Ende hin, wenn sich in die anschwellenden Klangfluten Motive der Marseillaise mischen.
Die missgestaltete Figur des Glöckners Quasimodo gibt der Improvisation immer wieder Anlass zu extravaganten Ausflügen. Aber auch die Szenen um die Zigeunerin Esmeralda werden fantasievoll ausgeleuchtet wie in den tänzerischen Rhythmen zu ihrem Auftritt auf dem Platz vor der Kathedrale oder den helleren Klangwirkungen zu ihren Begegnungen mit dem geliebten Hauptmann Phoebus de Chateaupers.
Dass der Film bei aller Dramatik auf ein Happy End für die Liebenden, entgegen der Vorlage Hugos, nicht verzichten kann, wird in der einfallsreichen Orgelbegleitung mit Zurückhaltung angedeutet: der Organist versagt sich jede süßliche Anwandlung, um auch hier den herben Grundcharakter seines Improvisationsstils nicht zu verleugnen.