Die Stuttgarter Rap-Crew Freundeskreis beendet die Open-Air-Saison im Schlachthof mit Reminiszenzen an die gute alte Zeit des Hip-Hop.
Von Christian Struck
Desk Wiesbaden
Freundeskreis-Frontmann Max Herre liefert im Schlachthof Hits aus der guten alten Zeit des deutschsprachigen Hip-Hop.
(Foto: Marcel Lorenz)
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WIESBADEN - Hier läuft gerade was richtig schief! Als mein Konzertbegleiter und ich bemerkten, dass wir uns darüber unterhielten, wie man am besten weiße Sneaker wäscht, war uns das sofort klar. Eigentlich sollten wir zu den Helden unseres ganz frühen Erwachsenenstadiums hart bouncen. Freundeskreis waren in der Stadt! Open Air! Bestimmt 15 Jahre her, dass wir die zuletzt gesehen hatten. Gute Chancen auf „Weißte-noch“-Momente. Und Freundeskreis haben alle Hits gespielt. Von „A-N-N-A“ über „Esperanto“ bis zur hervorragend vorgetragenen Dub-Version von Rio Reisers „Halt dich an deiner Liebe fest“. Dazu noch Solo-Tracks von Joy Denalane und Afrob. Handwerklich alles erste Sahne. Jazzy, funky, groovy – alles dabei. Die Stimmung im Publikum war gut. Aber irgendwas war komisch. Und es war nicht die gegen Ende des Konzets aufgeworfene Frage, wo denn eigentlich der angekündigte Megaloh sei. Jedenfalls: Um den Ärger mit den Sneakers zu verstehen, sollten wir das Band etwas zurückspulen.
Politische Musik mit textlichem Tiefgang
1999 kamen die deutschen Rap-Riesen (wir lassen West-Berlin an dieser Stelle außen vor) aus Hamburg oder Stuttgart. Mongos oder Kolchmob. Hamburg war Pop, Stuggi war „Conscious Rap“, sozialkritische, politische Musik mit textlichem Tiefgang. Mein Freund Jan hatte ein Hip-Hop-Mixtape aufgenommen. Auf Kassette. Wir hatten ein bisschen Strecke in seinem alten 2er-Golf. Für knapp 90 Minuten Bandlänge sollte es reichen. Wenn nicht, Parkplatz. Jan hatte Tracks der „Quadratur (des Kreises)“ und „Esperanto“ draufgepackt; erstgenanntes Album war das Debüt (1997) der Stuttgarter Hip-Hop-Crew um Rapper Max Herre, DJ Friction und Produzent Don Philippe, letzteres das zweite und bislang letzte Studioalbum (1999). Und wir waren auf dem Parkplatz. Umdrehen, weiterhören. Immer wieder.
Heute fahren wir Familienkutschen aus Wolfsburg mit sechsfach-CD-Wechsler. Kein Tapedeck. Im Wechsler jetzt Kinderlieder, Bibi & Tina, „Deine Freunde“. Und die zwei letzten „Bilderbuch“-Alben – auf ausdrücklichen Wunsch der Kinder. Worauf ich heimlich ein bisschen stolz bin. Beim Anstehen an der Abendkasse fragt eine Frau hinter uns im Beisein ihrer frühpubertierenden Kinder ihren Mann, was man so für „einen Joint“ bezahlen müsse. Sie habe ja keine Ahnung, was „ein Joint“ koste. „Die da“ – die Reggae-DJs, die vor dem Konzert im Kulturpark vor der Halle ein paar Tunes aufgelegt hatten – „die da“ hätten doch bestimmt „was geraucht“. Harte Klischees auf der Kulturinsel in der Klischeestadt Spießbaden.
Drinnen fragt Max Herre, wer wegen Hip-Hop gekommen ist. Viele jubeln, aber überzeugend ist das nicht. Vielleicht war es das, was an dem Abend so seltsam war: Die Enddreißiger und Ü-40er mit ihren Babys in Tragetüchern und Frühpubertierenden waren nicht wegen Hip-Hop da. Sie waren wegen der Erinnerung an eine Zeit da, die sich nicht wie ein Mixtape zurückspulen lässt. Um 21.25 Uhr provozieren Freundeskreis die erste Zugabe. 21.44 Uhr: Feel-good-Video mit Strandbildern im Super-8-Stil zu Dub-Sounds als Rausschmeißer. Um kurz nach Zehn rollen Lkw und Gabelstapler an und bauen das Equipment ab. Ordner drängen die Besucher mit Flatterband vom Gelände. Schwäbische Ordnung, Kehrwoche. Weiße Sneaker kann man übrigens gut mit Backpulver reinigen. Aber das wussten Sie sicher schon...