Frankfurter Musikfest „Atmospheres“ startet in der Alten Oper
Im Zeichen des Klassikers der Moderne, von György Ligetis, steht das Musikfest 2018 in der Alten Oper in Frankfurt.
Von Dietrich Stern
Tenor Daniel Behle taucht tief in die musikalischen Traditionen, die György Ligeti geprägt haben, ein.
(Foto: Alte Oper)
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FRANKFURT - 1961 schuf der ungarische, nach Wien emigrierte Komponist György Ligeti mit „Atmosphères“ ein Schlüsselwerk der Moderne. Im damaligen Streit zwischen Super-Determiniertheit jedes Tons und Freiheit des Zufalls (was beides oft gleich klang) entschied er sich für einen undogmatischen dritten Weg – nicht die intellektuelle Struktur, sondern das unmittelbare Klangereignis wirken zu lassen, dieses aber präzise aufzuschreiben. Die genauestens auskomponierte Folge von gleißenden, schimmernden Klangwolken und Tonschwärmen endet mit einem sehr intensiven Erlebnis von Stille. Als unangefochtener Klassiker der Moderne ist Ligeti zentrale Figur des Frankfurter Musikfests. Zwei Wochen lang bezieht sich jedes Konzert in irgendeiner Weise auf ihn.
Dabei kommt der Einstieg mit John Cages „Musicircus“ eher von der entgegengesetzten Seite. Musiker und Nichtmusiker „auf jede beliebige Art Klang produzieren“ zu lassen, ist radikal, aber unter Umständen auch radikal banal. Draußen auf dem Opernplatz klingt es noch nach fröhlicher Schwarmintelligenz. Drinnen wird es dann zum Lärm, der auch die teilnehmenden Gruppen entwertet. Kaum die richtige Atmosphäre, um „Atmosphères“ aufzuführen, wie es das Opern- und Museumsorchester in legerer Freizeitkleidung tut. Immerhin, ein Moment der Stille ist möglich, bevor Mozarts Figaro-Ouvertüre wieder mit Krach zugedeckt wird.
Am Sonntagvormittag, beim ersten Saisonkonzert des Opernorchesters, wird den Abonnenten das unbequeme „Atmosphères“-Hören mit Brahms’ zweitem Klavierkonzert, viel Harfenrauschen bei Liszts „Orpheus“ und schmissiger Zigeunerromantik in Kodalys „Tänzen aus Galanta“ versüsst. Der Gastdirigent Lawrence Foster hat als Solisten für Brahms den auffällig Body gebuildeten Pianisten Tzimon Barto dabei. Der kann den Steinway zart streicheln, bleibt aber ansonsten blasser Mitspieler ohne klares Profil.
In einem eigens zusammengestellten Lied-Programm geht am Nachmittag der Tenor Daniel Behle Hintergründen und Vorgeschichten Ligetis nach. Béla Bartóks Strenge des Kontrapunkts führt Ligeti in seiner „Mikropolyphonie“ ebenso weiter wie seine überfallartige Kühnheit der Überraschung. In Bartóks „Dorfszenen“ wird einem jungen Mädchen gesagt: Wenn du nicht heiratest, wirst du verwelken. Sie aber entgegnet: Im Gegenteil, wenn ich heirate, werde ich verwelken. Damit ist sie vom Fest ausgeschlossen. Geniale Wahrhaftigkeit im Text und in der Musik bei Bartók lassen einen an der verklärten, romantischen Volkstümlichkeit, die Behle in Brahms- und Dvorak-Liedern mit großer Intensität darstellt, zweifeln. Leos Janaceks „Tagebuch eines Verschollenen“, eine krause Geschichte von einem jungen Mann, der sich hoffnungslos in eine „Zigeunerin“ verliebt, rettet sich nach kurzen Ausflügen ins Atonale dann auch in den Schoß der Romantik und der Sentimentalität.
Ligeti und Bartók könnten dagegen als Vorbilder dienen, das Fenster zu öffnen und sich nicht mehr biedermeierlich zurückzusehnen. Dazu bietet das Musikfest noch eine Menge Möglichkeiten. „Atmosphères“ werden noch zweimal gespielt – am 27. September vom HR-Sinfonieorchester und am 30. September von den Bamberger Symphonikern. Das Frankfurter „Ensemble Modern“ spielt am 20. September Ligetis Klavierkonzert und eine auf Ligeti bezogene Uraufführung. Der Pianist Pierre Aimard berichtet am 22. September über seine Zusammenarbeit mit Ligeti – bis Ende September also noch viele Gelegenheiten, in die Moderne einzutauchen und sie nicht nur als Feigenblatt im klassischen Konzert zu hören.