Frankfurt bringt mit Peter Eötvös‘ Tschechow-Oper „Tri Sestry“ große Gefühle auf die Bühne
Die Peter Eötvös‘ Oper heißt „Drei Schwestern“, genau wie das darin vertonte Drama von Anton Tschechow. Aber man hört den ganzen Abend über keine einzige Frauenstimme, alle Partien sind für Männer geschrieben.
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Liebe ohne Chance: Ray Chenez als Irina, Krešimir Stražanac als Tusenbach in „Tri Sestry“.
(Foto: Monika Rittershaus)
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FRANKFURT - Die Oper heißt „Drei Schwestern“, genau wie das darin vertonte Drama von Anton Tschechow. Aber man hört den ganzen Abend über keine einzige Frauenstimme, alle Partien sind für Männer geschrieben, die drei Schwestern werden von Countertenören in Sopran-, Mezzo- und Altlage gesungen. Der Trick ist einfach: Indem der Komponist Peter Eötvös die Differenz zwischen Rolle und Darsteller hervorhebt, löst er das individuelle vom allgemeinen Schicksal ab, das hier verhandelt wird.
Da traut der Komponist dem Publikum vielleicht zu wenig Abstraktionsvermögen zu. Und die vor 20 Jahren uraufgeführte Oper ist so unverbraucht stark, dass sie auch gelingen müsste, wenn Frauen Frauen singen. Aber ein Schaden ist es nicht für die Frankfurter Aufführung, die nicht einen Hauch von peinlicher Travestie zulässt und die drei Hauptrollen mit Ray Chenez (Irina), David DQ Lee (Mascha) und Dmitry Egorov (Olga) in stimmlicher und charakterlicher Differenzierung perfekt besetzen kann. Gemeinsam mit Mikolaj Trabka als Andrei steht ein starkes Geschwister-Quartett auf der Frankfurter Opernbühne, vereint in der Sehnsucht nach der verklärten Vergangenheit, entzweit im individuellen Ringen um eine Zukunft, die hinausführen könnte aus der Ödnis und Enge der Provinz, die im Bühnenbild von Ashley Martin-Davis die Langeweile bildungsbürgerlicher Behaglichkeit meint.
Zwei Orchester, zwei Dirigenten
Für jeden Akt werden die Möbel umgestellt, aber alles sieht immer gleich aus: Besser kann man die Lage dieser Familie kaum beschreiben. Auch mit der Orchesterbesetzung seiner „Tri Sestry“ hätte es Eötvös einfacher haben können. Er nimmt die Familiengeschichte gewissermaßen musikalisch in die Zange, ein kleines Kammerensemble sitzt im Orchestergraben und ist für die beredte Begleitung der szenischen Aktionen zuständig, der größere Apparat sitzt erhöht hinter der Spielfläche und gibt vielen Ereignissen ihre atmosphärische Grundierung. Das würde beim Zuhörer wahrscheinlich nicht schlechter ankommen, wenn alle Musiker im Graben säßen. Aber es funktioniert auch so, zumal man das Kunststück bewundern kann, wie gut die beiden Dirigenten Dennis Russell Davies und Nikolai Petersen die Koordination des Abends im Griff haben. Von der qualitativ einwandfreien Wiedergabe der Partitur einmal ganz abgesehen. Denn Eötvös hat große Opernmusik geschrieben, die beispielhaft dramatisch erzählen kann, indem sie die Psychologie der Figuren stützt und erhellt. Mal ist das kammermusikalisch aufgefächert, dann wieder facht der Komponist die dramatische Glut in den nervig-kleinteiligen Streicherklängen an. Wenn es im Wohnzimmer mit vielen Gästen hoch hergeht, ist die Musik im wohlgeordneten Tumult ebenso dicht am szenischen Geschehen wie in den lyrischen Szenen, in den packenden intimen Liebeserklärungen, in denen der Komponist seinen Sängern einen fast altmodischen ariosen Glanz gönnt.
Dass Musik und Szene in dieser beispielhaften Inszenierung so enggeführt werden, liegt auch an der Regie von Dorothea Kirschbaum, die mit kleinen Zeichen viel erzählt von der Sehnsucht dieser Menschen und ihren Enttäuschungen. Sie alle sind zu spät dran fürs Leben. Irina entschließt sich, Tusenbach zu lieben, wenn der schon im Duell getötet wurde, und malt Protestplakate. Mascha hofft auf Werschinin (Iain MacNeil) und bleibt doch bei ihrem einfältigen Mann (Thomas Faulkner) hängen, und auch Olgas heimliche Liebe zu Werschinin wird in wenigen Gesten angedeutet. Andrei hängt an seiner Frau, obwohl er wie alle anderen angewidert ist von ihrer vulgären Herrschsucht; Eric Jurenas als Natascha macht mit kurzen, stampfenden Schritten eine schöne Karikatur aus dieser Rolle. Bei aller Melancholie findet dieser zweieinhalbstündige Abend sogar die Komik der Vergeblichkeit – und ist umso bewegender.