Ferienkurse Neue Musik in Darmstadt: Traditionelle Instrumente und ihre Konkurrenten
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Kopfmusik: Ein Solist bespielt eine Besucherin des Konzerts der Schlagzeug-Workshops im Rahmen der internationalen Ferienkurse (Bild oben). Ringkampf mit dem Akkordeon: Janne Valkeajoki spielt ein Stück von Vasiliki Legaki (Bild rechts). Fotos: Kristof Lemp, Copyright IMD 2018
( Foto: )
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
DARMSTADT - Musik entsteht im Kopf. Bei der aus China stammenden Komponistin Yiran Zhao darf man das ganz wörtlich nehmen. Sie hat das „Solo für einen Kopf“ geschrieben, eine Partitur von dreieinhalb Minuten Dauer, die jeweils nur einen Zuhörer hat. Nicht einmal der Interpret weiß, was sich im Kopf seines Gegenübers abspielt. Der Hörer schließt die Augen und riecht erst einmal das Gummi der Handschuhe, die der Spieler übergestreift hat. Er hat Stöpsel in den Ohren, damit er ganz das eigene Geschehen erfahren kann, das rhythmische Kratzen, wenn der Daumen über die Haare streicht, das Rauschen beim Streichen über die Ohrmuscheln, den sanft geklopften Rhythmus. Am erstaunlichsten ist die starke Form: Auch bei geschlossenen Augen weiß man sofort, wenn das Stück zu Ende ist.
Der menschliche Kopf ist eines der ungewöhnlichsten Instrumente, die bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik im Schlagzeugstudio von Christian Dierstein und Hakon Stene bearbeitet werden. Aber auch sonst spielen die traditionellen Perkussionsinstrumente nicht immer die Hauptrolle. Schlagzeuger holen ihre Geräusche aus vielerlei Alltagsgegenständen. Cathy von Eck zum Beispiel schickt sechs Performer mit großen Alu-Rechtecken durch das auf dem Boden lagernde Publikum in der Sporthalle der Edith-Stein-Schule. Auf dem Blech sind Lautsprecher angebracht, die wiederum werden über Handys so koordiniert, dass die Bewegungen der Spieler den Klang steuern.
Später wird diese Truppe zum Guide durchs Schulhaus, in dem viele Ecken zur Klangstation werden. Im Keller stehen vier junge Menschen. Warum bloß haben sie bei dieser Hitze Anoraks an? Weil Carola Bauckholt ihr Stück „Hirn und Ei“ aus Geräuschen formt, die beim Streichen über dieses Material entstehen. Das Performer-Quartett macht daraus eine spannungsvolle Choreografie, reibt und klopft und lässt die Reißverschlüsse rhythmisch singen. Nebenan spielt ein Duo eine Art Kiefernzapfen-Schach auf der Tischtennisplatte, das sich die Komponistin Elena Rykova ausgedacht hat.
Kopfmusik: Ein Solist bespielt eine Besucherin des Konzerts der Schlagzeug-Workshops im Rahmen der internationalen Ferienkurse (Bild oben). Ringkampf mit dem Akkordeon: Janne Valkeajoki spielt ein Stück von Vasiliki Legaki (Bild rechts). Fotos: Kristof Lemp, Copyright IMD 2018 Foto:
Foto:
2
Mit luftigen Klängen gegen die Bilderflut
Die spielerische Herangehensweise paart sich in den meisten Klanginszenierungen mit konzentriertem Ernst. Das gilt auch für die Verbindung von Neuer Musik und Film in zwei Auftragswerken der Ferienkurse, die unter großem Beifall in der voll besetzten Centralstation uraufgeführt wurden. Dass die Musik im Mittelpunkt steht, ist bei den Kurzfilmen von Peter Tscherkassky keine Überraschung: Die verfremdete Montage historischen Filmmaterials, die man als Hommage an Man Ray und Luis Buñuel sehen kann, saust so rasch am Zuschauer vorbei, dass man nur wenig erkennt.
Aber Simon Löffler hat zum Film „Dream Works“ eine Miniatur geschrieben, die der Bilderflut helle, feine, leichte und luftige Klänge entgegensetzt, glänzend interpretiert vom Ensemble Nikel, das die Finger mit durch die Luft flirrenden Metallstäben verlängert hat. Carlotta Lannotta dagegen hat zu „Outer Space“ eine ausladende, aber strukturarme Klangfantasie geschrieben, die vom Nikel-Quartett immerhin bemerkenswert differenziert dargeboten wird.
FERIENKURSE AM MONTAG
Herausragendes Ereignis der Internationalen Ferienkurse an diesem Montag, 23. Juli, ist eine Koproduktion des Darmstädter Festivals mit Kampnagel in Hamburg.
Die freie Gruppe „God’s Entertainment“ zeigt ab 19.30 Uhr in der Orangerie die Musiktheater-Performance „Tarzan“, die sich mit dem popkulturellen Mythos des weißen Dschungelhelden befasst. Die Vorstellung wird am folgenden Tag (Dienstag, 24. Juli) zur gleichen Uhrzeit wiederholt.
Das belgische Künstlerkollektiv „Nadar“ gestaltet am Nachmittag des heutigen Montags Hauskonzerte an verschiedenen Orten; um 19.30 Uhr folgt das Konzert „Our Ears“ in der Centralstation.
„Full Zero“ von Ulf Langheinrich, ist ab 22 Uhr in der Centralstation zu erleben. Dabei handelt es sich um einen Film, der auf intensive Weise eine Performance der chinesischen Tänzerin und Choreographin Luo Yuebin dokumentiert. (job)
Während bei den Schlagzeugern die Erweiterung des Instrumentariums im Mittelpunkt stand, konzentrieren sich die Akkordeonisten ganz auf die weitgespannten Möglichkeiten ihres Instruments. Ein Workshop der Komponistin Rebecca Saunders und des Solisten Krassimir Sterev brachte Interpreten und Komponisten zusammen. Die dabei entstandenen Miniaturen reizen den Tonumfang aus und seine klangliche Differenzierung, die vom mächtigen Getöse bis zum feinsten Zirpen reicht. Und sie lassen das Instrument zum eigenen Leben erwachen, wenn in einem Stück von Chanhee Lim das Atmen der Solistin Zdravka Ivanova sich mit dem des Instruments verbindet, dem sie geradezu zärtlich auf den Balg klopft. Germán Medina Calle präsentiert in „Clickety-Click“ das Akkordeon vor allem als perkussives Instrument, in dessen Rhythmen nur selten ein Ton vorbeihuscht. In „Meno“ von Matilda Seppälä zeigt Janne Valkeajoki, wie fein und klangschön dieses Instrument klingen kann. Dabei hatte seine Performance zum Auftakt das Akkordeon in einem Stück von Vasiliki Legaki noch als widerspenstiges Biest vorgestellt, das vom Interpreten gleichsam im Ringkampf gebändigt werden will.