Der Wiesbadener Restaurator Wolfgang Petzoldt sammelt Klaviere und schwärmt von den Qualitäten historischer Tasteninstrumente aus der Zeit um 1900.
Von Volker Milch
Redakteur Kultur/Politik/Wirtschaft Wiesbaden
Der Klaviersammler und Restaurator Wolfgang Petzoldt (im oberen Foto ganz rechts neben seinen Unterstützern Franco Calcagna und Klavierbaumeister Ingo von Sydow- Blumberg) mit Prachtstücken aus seiner Sammlung.
(Fotos: VM)
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WIESBADEN - Man könnte denken, ein Bösendorfer Imperial oder ein ausgewachsener Steinway seien die Trauminstrumente jedes Pianisten. Steinway behauptet ja, der große Konzertflügel D 274 sei „auf 96 Prozent aller großen Bühnen zu Hause und die Wahl einer überwältigenden Mehrheit der weltgrößten Pianistinnen und Pianisten“.
Der Wiesbadener Klaviersammler Wolfgang Petzoldt gehört nicht zu den Fans dieser Hochglanzprodukte und hat ganz andere Träume. Zum Beispiel schwärmt er vom „Traumdiskant“ eines Instruments der Firma Irmler aus Leipzig oder von einem betagten Flügel der Marke Baldur, der mit seiner „ungeheuren Detonation“ gleich zwei Steinways „killen“ könnte.
Petzoldt registriert bei modernen Instrumenten eine „Klanginsuffizienz“. In seinem Erbenheimer Instrumentenlager, das auch als Restaurierungswerkstatt dient, nähert er sich einem alten, schwarzen Klavierkorpus, den man in einer Kneipe nur peripher wahrnehmen würde. „Jetzt hören wir erst mal eine Stradivari“, freut sich Petzoldt indes und greift in die Tasten des Instruments der Marke Goebel aus dem Jahr 1888. Der Sammler, der als Klavierrestaurator arbeitet und seine Leidenschaft aus Verkäufen finanziert, berauscht sich am Klang und lässt sich vom verstimmten Zustand nicht stören. Den Diskant schlägt er besonders intensiv an. Bei modernen Instrumenten klinge dieser hart, bei diesem historischen Meisterstück einfach „schön fürs Ohr“.
Der Klaviersammler und Restaurator Wolfgang Petzoldt (im oberen Foto ganz rechts neben seinen Unterstützern Franco Calcagna und Klavierbaumeister Ingo von Sydow- Blumberg) mit Prachtstücken aus seiner Sammlung. Fotos: VM
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Rund 250 Instrumente gehören zur Sammlung von Wolfgang Petzoldt, darunter 180 Flügel, verteilt auf Lagerhallen in Wiesbaden und auf der anderen Rheinseite. Es sei „die größte Konzertflügelsammlung der Welt“. Die Auswahl habe er über den Klang getroffen, erzählt er beim Treffen in Erbenheim. Dort drückt er dem Besucher auch so etwas wie sein Sammler-Manifest in die Hand: eine vierseitige Abrechnung mit dem modernen Klavierbau und das Hohelied der goldenen Periode zwischen 1880 bis 1930. „Die deutschen Klavierbauer waren die besten der Welt“, liest man da. Ihr Kapital seien die Holzlager gewesen, und die handwerklichen Fähigkeiten wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Der Zweite Weltkrieg habe diese „Idealverhältnisse“ zerstört. Heute herrsche eine „Uniformierung des Klanges“, die für „künstlerisch empfindende Menschen“ frustrierend sei.
SERIEN-AUFTAKT
Mit diesem Artikel eröffnen wir eine neue Reihe, in der wir in loser Folge Menschen vorstellen, die sich der Leidenschaft des Sammelns verschrieben haben.
Angesichts der Steinway-Dominanz in den Konzertsälen erscheint die Klage des Klaviersammlers durchaus nachvollziehbar. Ob aber ein Liebhaber wirklich 150 000 Euro für ein Klavier von 1888 ausgeben würde? „Keinen Cent weniger“, betont Petzoldt, soll das Goebel-Instrument einmal im restaurierten Zustand kosten.
Offenbar hat er aber schon Klavierfreunde auf den Geschmack gebracht. Eine Dame, erzählt er, hat ihren Steinway in die Wüste geschickt, nachdem sie sich in einen Gaveau-Flügel aus Petzoldts Sammlung verliebt hatte. Dass Petzoldt mehr als ein schrulliger Sammler ist, beweist auch die professionelle Resonanz: Rolf Ibach höchstselbst, von 1980 bis 2006 an der Spitze des traditionsreichen Klavierherstellers Rud. Ibach und Sohn, lässt bei ihm gerade ein feines Instrument restaurieren. Außerdem unterstützt ihn der Klavierbaumeister Ingo von Sydow-Blumberg aus Hargesheim. Er hat selbst bei Steinway gelernt, sich aber mit einem Reparaturbetrieb selbstständig gemacht, „weil mir Fabrikarbeit nicht liegt“. Der „bombastische Aufwand“, mit dem sich Wolfgang Petzoldt den Instrumenten widme, habe ihn dazu gebracht, den Sammler zu unterstützen: „Das weicht vollkommen ab von der üblichen Restauration.“
Der Blick in einen Flügel der Schweizer Firma Schmidt-Flohr aus dem Jahr 1945 bestätigt das: Petzoldt, der auf der Suche nach der perfekten Wolle für den Filz schon bis nach Australien gereist ist, hat sogar den blauen Stoff im passenden Farbton eigens nachfertigen lassen. Seit fünf Jahren arbeitet er an diesem Flügel und zeigt stolz weitere Exemplare, die auf ihre Erweckung aus dem Dornröschenschlaf warten.
„Ich bin so fasziniert, weil ich selbst spiele“, sagt Petzoldt über die Basis seiner Leidenschaft. „Mystik“, „Beseelung“ hört er im Klang der alten Instrumente, Tiefe und gegebenenfalls die Kraft „wie von einer Atombombe“.
Das Geheimnis des Klangs steckt auch im Holz
In seiner Jugend, erzählt der 1951 geborene Sammler, sei er Rockmusiker gewesen. Über seinen Klavierlehrer hat er einen Händler kennengelernt, bei dem er sein Klangempfinden schulen konnte. Das Restauratoren-Handwerk habe er unter anderem in einer Wiesbadener Firma gelernt. Das aufwendige Polieren mit Schellack, eine seiner Spezialitäten in der Zusammenarbeit mit Ingo von Sydow-Blumberg, hat ihm ein alter Meister dieser zeitintensiven Kunst beigebracht. Das Geheimnis des Klangs der alten Instrumente wird man aber, wie bei der Stradivari, nicht zuletzt im Holz suchen müssen: Die Resonanzbodenfichte zum Beispiel sei in der Blütezeit des Klavierbaus aus Gebirgsregionen nicht unter 800 Metern Höhe gekommen: „Karger Boden und möglichst 100-jähriger Wuchs gaben der Fichte feine, dichte Jahresringe.“
Für Petzoldt haben die alten Instrumente mit ihrer Kraftentfaltung und ihrem Klangfarbenreichtum auch ein anderes Potenzial zum Beispiel für die Interpretation der virtuosen Werke von Franz Liszt. Mit dem dynamischen Spektrum etwa des Mephisto-Walzers seien moderne Instrumente überfordert.
Eine durchaus reizvolle Vorstellung, restaurierte Instrumente aus der Sammlung Petzoldts mal im Konzertsaal gegen neue Flügel antreten zu lassen. Ob sich ein Steinway gegen die „detonierenden Atombomben“ behaupten könnte? Jenseits solch martialischer Metaphorik verfügen sie über eine Klang-Aura, die sich auch schon in der Erbenheimer Werkstatt mitteilt.