Deutsche Erstaufführung von „Lost Highway“: Oper nach dem David-Lynch-Film in Frankfurt
David Lynchs Kultfilm „Lost Highway“ erlebte in einer Produktion der Oper Frankfurt im ausverkauften Bockenheimer Depot seine Deutsche Erstaufführung. Eine auf grandiose Weise geglückte virtuose Gratwanderung zwischen Film, Computeranimation und Musiktheater.
Von Silvia Adler
Einblicke in eine geheimnisvolle Parallelwelt, die tief in die psychischen Abgründe des Protagonisten hinabführt.
(Foto: Monika Rittershaus)
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FRANKFURT - „Dick Laurent ist tot“, schallt es dem Jazztrompeter Fred Madison aus der Gegensprechanlage seines Hauses entgegen. Mit diesem Satz öffnet sich in der ersten Szene von David Lynchs Kultfilm „Lost Highway“ die Falltür zu einer geheimnisvollen Parallelwelt, die tief in die psychischen Abgründe des Protagonisten hinabführt. Vor der Haustür findet Freds Frau Renée täglich neue, anonym hinterlegte Videokassetten, die sie und ihren Mann schlafend im Bett zeigen. Ein weiteres Video zeigt Fred blutüberströmt über die Leiche seiner Frau gebeugt. Fred wird verhaftet und zum Tode verurteilt. Doch im Gefängnis fehlt von ihm plötzlich jede Spur. Statt seiner findet ein Wärter den jungen Automechaniker Pete Dayton in der Todeszelle.
David Lynchs Mystery-Film aus dem Jahr 1997, in dem sich Film Noir mit Horrorfilm und Psychothriller mischen, diente der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth als Vorlage für ihr gleichnamiges Musiktheater, das bereits 2003 beim Steirischen Herbst in Graz uraufgeführt wurde. Am Mittwoch erlebte das Werk in einer Produktion der Oper Frankfurt im ausverkauften Bockenheimer Depot seine Deutsche Erstaufführung. Das Libretto, das die Komponistin zusammen mit Elfriede Jelinek verfasst hat, ist eng an das Drehbuch des Films angelehnt.
Ein permanent projiziertes Flackern und Flimmern überzieht das Stück während seiner gesamten Dauer. Der von Jason H. Thompson und Kaitlyn Pietras entworfene Bühnenraum zeigt zwei Leinwände, die parallel übereinander verlaufen. Regisseur Yuval Sharon lässt Fred, der von dem Schauspieler Jeff Burrell filmreif verkörpert wird, allein vor einem Green Screen agieren – „einem Ort ohne Dimension und Eigenschaften“.
Phantasmen und schizophrene Trugbilder
Seine Handlungsaktionen werden in die eine Etage über ihm ablaufenden Filmsequenzen hineinprojiziert. Auch die anderen Protagonisten spielen vor einem für das Publikum verdeckten Green Screen und sind nur in der Projektion in einem künstlichen virtuellen Raum wahrzunehmen. Während der Aufführung entsteht ein Film, in dem sich die Phantasmen und schizophrenen Trugbilder, die im Kopf des Protagonisten spuken, zu einer computergenerierten Realität zusammenfügen. Statt einer äußeren Wirklichkeit nimmt das Publikum nur Freds Sicht auf die Wirklichkeit wahr. Die Künstlichkeit jener futuristisch angehauchten Welt mit ihren doppelten Böden und zeitlichen Loopings, die per Mausklick in jede beliebige Richtung manipulierbar ist, vermittelt ein Gefühl von Verunsicherung und Bedrohung, das sich im Verlauf der technisch brillant realisierten Inszenierung immer mehr steigert.
Dieselbe Bedrohungslage flackert auch in der Musik. In den hochkomplexen Klang- und Bildräumen, die Olga Neuwirths Partitur vorsieht, verbinden sich Live-Elektronik, Orchesterklänge, Geräusche und Videotechnik zu albtraumhaft-fiebrigen Sequenzen. Neuwirths Musik schiebt sich wie ein schmerzendes Nervengeflecht unter die bildmächtigen Handlungsstränge. Das Ensemble Modern unter der Leitung von Karsten Januschke kann den Extremanforderungen, die Neuwirths Komposition für die Musiker bereithält, auf höchstem Niveau gerecht werden und lotet die verschiedenen musikalischen Atmosphären mit schmerzhaft-intensiver Klanggebung aus.
Film, Computeranimation und Musiktheater
Auch dem Darstellerensemble glückt die virtuose Gratwanderung zwischen Film, Computeranimation und Musiktheater auf grandiose Weise. Nicht nur der Schauspieler Jeff Burrell als Fred verleiht seiner Partie rasiermesserscharfe Konturen.
Auch die Sopranistin Elizabeth Reiter, die als Renée und Alice erotische Coolness mit glutvollen Gesangsausbrüchen verbindet, sowie der Vokalkünstler David Moss als brutal aufbrausender Mr. Eddy und der Bariton John Bracy als stimmstrotzender Mechaniker Pete erreichen – nicht zuletzt dank Yuval Sharons perfektionistischer Personenregie – eine Leinwandpräsenz, die bei jedem noch so strengen Casting überzeugt hätte.