Enttäuschung im Parkett: Der Kritiker Jakob Hayner sucht das wahre Theater und findet doch bloß Belanglosigkeiten.
. „Wozu das Theater?“, überschrieb 1971 Joachim Fest im Spiegel seinen Artikel über die angebliche Krise dieser Kunstform. Sein Fazit: „Theater muss nicht sein.“ 50 Jahre später befindet auch der 1988 in Dresden geborene Theaterkritiker Jakob Hayner, das Theater befinde sich in einer Krise.
Doch während Fest damals für die Musealisierung des Theaters plädierte, macht sich Hayner für seine Erneuerung stark. Dabei zitiert er in seinem Buch „Warum Theater“ Heiner Müller, der einst forderte, die Theater zu schließen. Das könnte laut Hayner heute ein Ausdruck ernsthafter Reflexion sein und quasi den Nullpunkt darstellen, von dem eine Neubesinnung- und bestimmung ausgehen könnte. Weder Müller noch Hayner freilich ahnten, dass die Theater tatsächlich monatelang ihre Türen schließen würden. Theoretisch kommt die Corona-Krise also wie gerufen.
Doch Jakob Hayner winkt ab, schon allein, weil sich Reflexion und Existenzangst nicht besonders gut vertrügen. Darüber hinaus sieht er momentan keine Ansätze für eine wirkliche Veränderung der Theater. Viel eher schlage jetzt die Stunde der Digitalerneuerer, sagt er. In seinem Buch definiert Hayner das Theater indes als utopischen Ort, an dem das Seiende mit dem Denkbaren konfrontiert werden könnte, was aber viel zu selten geschehe. Die Krise des Theaters ist für ihn nicht nur ein Problem des Theaters, sondern vielmehr Ausdruck der Krise der Welt.
Im Theater selbst zeigt sich das für ihn auch als Krise des Dialogs und Rückzug ins Monologische: „Es fehlt dramatische Literatur“. In seiner Vorliebe für literarisches Theater weist er Gemeinsamkeiten mit dem Theaterkritiker Simon Strauß auf, während er in seinen sonstigen Ausführungen unverkennbar die Nähe des Systemkritikers Bernd Stegemann sucht. Daneben zieht Hayner beliebte Gewährsmänner zu Rate: Peter Brooks, Bertolt Brecht, Peter Hacks. Denjenigen, die sich von dem Buch erhoffen, viel über seine konkreten Vorlieben und Abneigungen zu erfahren, werden enttäuscht. Bis auf Christoph Marthaler erhält kaum jemand eine lobende Erwähnung. Das ist kein Zufall, geht es Hayner doch in erster Linie darum, einen Mangel zu artikulieren: „Ich denke viel über die Grenzen des Gegenwartstheaters nach und über all die enttäuschenden Abende, die ich gesehen habe. Im Programmheft wird einem die Welt versprochen, aber auf der Bühne gibt’s dann doch wieder nur Belanglosigkeit.“ Neben vielem bemängelt Hayner die grassierende Überproduktion an den Theatern, die meinen, in immer kürzerer Zeit immer mehr produzieren zu müssen.
Denjenigen Intendanten, die besonders auf die Tube drücken, sei das Buch jedenfalls empfohlen. Dass das Theater nicht nur die Verhältnisse spiegeln, sondern auch Wege aus diesen Verhältnissen hinaus weisen kann und sollte, davon ist Hayner überzeugt. Man muss nicht seiner Meinung sein, um das Buch als willkommenen Anlass zu sehen, das Theater neu ins Visier zu nehmen.