Reklame durch die Hintertür: Eine Jura-Dissertation zur Schleichwerbung kommt zu bedenklichen Befunden.
. Eine juristische Dissertation zum Thema Werbung, unter anderem im Fernsehen: Da kommt es vor, dass mit Paragrafen um sich geworfen wird und dass sich das Buch dem Film mit endlosen Wiederholungen annähert. Anna Enthovens Abhandlung über Schleichwerbung macht es dem Leser auch dadurch schwer, dass Grundlegendes wieder und wieder aufgeschrieben wird: Dass das Verbot der Schleichwerbung eine Konkretisierung des fundamentalen Trennungsgebots von redaktionellem Inhalt und Werbung ist. Dass dieses Verbot dem Schutz der Verbraucher wie dem der journalistischen Unabhängigkeit gilt. Oder dass das Internet, speziell die sozialen Medien und noch spezieller „Influencer“, die Werbung grundsätzlich geändert haben.
Zum Glück baut die Autorin auf dieser Endlosschleife klare Analysen und scharfkantige Kritik an Werbewirtschaft, Gesetzgebung und Medienaufsicht auf. Die europäische Rahmenrichtlinie etwa habe zwar auf die Entwicklung reagiert, aber nicht nur durch die erhebliche Lockerung des Trennungsgebots die Büchse der Pandora geöffnet. Die einzig in der Kennzeichnung als „Werbung“ oder „Anzeige“ begründete Unterscheidung zwischen verbotener Schleichwerbung und erlaubtem „Product Placement“ stehe dafür.
Ein hilfloser Versuch, dem Netz beizukommen
Wie der hilflose Versuch von Technik-Trotteln, dem Netz beizukommen, liest sich dagegen vieles aus dem nach europäischen Vorgaben novellierten Rundfunkstaatsvertrag sowie dem Telemediengesetz. Spätestens beim Influencer-Marketing, wo laut Enthoven die Ausnahme Schleichwerbung zur Regel wird, kommen die nationalen Regeln an ihre Grenzen. Daher schlägt die Medienrechtlerin vor, das „sehr zersplitterte Rechtsgebiet“ Werbung etwa durch die Schaffung eines „Internetgesetzbuchs“ zu bündeln oder wenigstens den Rundfunkstaatsvertrag so zu ändern, dass auch Social Media richtig erfasst werde. Auf jeden Fall müsse der unzureichende Begriff „fernsehähnliche Telemedien“ verschwinden. Und bei dieser Gelegenheit könne man auch einen überkommenen Übelstand beseitigen: dass private Anbieter bis zu 500 000 Euro Bußgeld für das Verbreiten von Schleichwerbung zahlen müssen, öffentlich-rechtliche aber nicht.
Tatsächlich ist das Problem Schleichwerbung annähernd 100 Jahre alt. Es umfasst die Ausstattung ganzer Filmsets mit Zigaretten, die Omnipräsenz von Werbung in der Sportberichterstattung, die Zersetzung renommierter Produktionen wie „James Bond“ oder der „Reifeprüfung“ und nicht zuletzt Serien: Ausgerechnet die ARD-Serie „Marienhof“ gilt bis heute als skandalumwittertes Synonym für Schleichwerbung.
Peinlich sei die „unprofessionelle und aufdringliche Art“, in der zum Beispiel Tatort-Kommissar Horst Schimanski „Paroli“-Bonbons ins Bild hielt, absurd der Fall des 1995 herausgekommenen Films „Feuer, Eis und Dynamit“: Eben weil es hier ausschließlich um „den scheinbar zufälligen, aber in Wirklichkeit bewussten Einbau von Markenprodukten“ ging, weil er also keine Schleich-, sondern Trampelwerbung sei, war die dummdreiste Masche nicht zu beanstanden.
Verglichen mit den Influencern von heute waren die Inhalte-Gaukler von einst aber Waisenknaben. Wenn „Bibi“ für Neckermann-Reisen wirbt, wird die Leichtgläubigkeit des zumeist jungen Publikums perfekt ausgeschöpft. „Privat trifft auf Privat und eben auf vermeintlich Privat“, fasst Enthoven das Prinzip zusammen.
Gerade weil so viel Geld im System steckt (der Mondpreis für das Buch passt dazu), hält sich die Hoffnung von Anna Enthoven in Grenzen, dass die zunehmend entgrenzten systematischen Verstöße gegen die Rechtsgrundsätze eingehegt werden können. Zumal die EU den Tätern hilft: „Die Produktplatzierung kann als die nur fast ebenso unehrliche Schwester der Schleichwerbung angesehen werden.“
Von Christian Knatz