Zum 85. Geburtstag des Schriftstellers am 12. Juni hätte der Sammelband „Eine Tür aus Glas, weit offen“ erscheinen sollen. Der Hanser-Verlag hat ihn aus Anlass seines...
. Am 29. Januar 2020 habe ich nach langer Zeit den Karton wieder aus dem Schrank hervorgeholt. Bis heute enthält er 15 Briefe, kleine bunte Billetts aus der Hand des Zeichners, Mitteilungen des Schriftstellers an die „hessische Schnörkelpfote“ mit Absender-Adresse Berlin oder dem französischen Refugium Rémuzat in den Bergen der Drôme mit Lavendelblüten. In den Kuverts steckt zartes Papier, mit Buntstift geschrieben Geflügeltes, auf der Maschine von der Spielfigur des „Flaschenetikettensammlers Dr. Alfons Viertele vom Balkon“ fidel getippte Epistel und luftige Grüße.
Am 29. Januar 2020 ist Christoph Meckel, unvereinnahmbarer Lyriker, Prosaist, Essayist, Zeichner und Grafiker, gestorben. Da habe ich mich erinnert an eine Korrespondenz aus den Jahren 1978 bis 1980, nachdem ich den Schriftsteller auf einer Tagung in Mainz kennengelernt hatte. Damals begleitete er meinen Eintritt in die Wiesbadener Zeitung und wünschte der „Redaxe“, sie möge „ordentlich in sie hineintreten“.
Vor zwei Jahren verlieh Wiesbaden Christoph Meckel den Orphil-Lyrik-Preis, noch im Januar 2020 wurde er mit Antiqua-Preis für Buchkultur ausgezeichnet, und zu seinem 85. Geburtstag am 12. Juni hätte der Sammelband „Eine Tür aus Glas, weit offen“ erscheinen sollen. Der Hanser-Verlag hat ihn aus Anlass seines Todes vorgezogen.
Die Tür aus Glas steht offen im sporadischen Lebens- und Arbeitsörtchen Rémuzat, wie Christoph Meckel im dritten Kapitel des Buchs stimmungsbildnerisch beschreibt. In drei Abteilungen gegliedert, sammelt das Buch Prosastücke, in Auswahl und Reihenfolge vom Autor selbst autorisiert, aus den siebziger Jahren bis 2009. Über diese gesamte Zeitstrecke ist der unverwechselbare Meckel-Ton aus Geist und Klang, Rhythmus und Detail, Form und Sinnlichkeit wunderbar erhalten geblieben. Das Adverb hätte ihm nichts gesagt, vielleicht aber hätte es ihn doch gefreut. Denn „C. M.“, wie er gern unterschrieb, pflegte deutliche Zurückhaltung vor jeder Art von Selbstdarstellung – es sei denn im sprachgewordenen Gedicht oder der grafisch gestalteten Spielfigur. „Zu meinen Büchern habe ich nichts zu sagen. Das einmal aus Sprache Gemachte gehört sich selbst.“
Christoph Meckels Werkliste ist lang (rund 60 Titel) – und deren einzelne Bände meist von schmalem Format. Eigenwillig machte er nie mit im Getöse des Literaturbetriebs, sondern arbeitete, auch auf vielen Reisen, wo und wenn immer ein Papier für ihn erreichbar war. So erklärt er im Kapitel „Papier“ seine grafische Arbeit, und die schriftstellerische unterzieht er, belesen interpretierend, einer schonungslosen Studie, indem er „Über das Fragmentarische“ sinniert und schreibt.
Der, der „Luftgeschäfte der Poesie“ betreibt, weiß die Leistung von Schriftsteller-Kollegen (Nicolas Born, Jean Améry, Carl Einstein) zu würdigen, entwirft literarische Porträts von Malern und Bekannten, stellt die eigenen Anfänge und die Vielfalt seiner Überlegungen zur Kunst dar, bedenkt die Geschichte der Deutschen und die seiner jüdischen Freunde, und letztlich bleibt ihm noch immer der Wert des Wortes. „Eine mögliche Antwort auf die Schöpfungsgeschichte kommt aus Bild, Musik und aus gestalteter Sprache, kann sein vor allem aus dem Gedicht.“ Wie vorsichtig!
Einige Gedichte sind in diesem Band enthalten, der statt einer Hommage zum Geburtstag nun zu einem Christoph-Meckel-Gedächtnisbuch geworden ist. Mein Gedächtnis an ihn sitzt in einer ganzen Buchreihe im Regal. Und in einem alten Briefkarton.