DARMSTADT - Ein Mann mit Skizzenblock in der Hand sitzt mitten im Bild aufrecht auf einem Felsen, rechts von ihm ragt eine Eiche hoch in den Himmel. Es ist der Maler Johann Tobias Sonntag, der sich auf seinem "Prospect von dem Meliboco und dessen Gegend" selbst festhielt, einem Bild von außergewöhnlichen Maßen, das 3,75 Meter in der Breite und 2,25 Meter in der Länge misst.
Zu sehen ist die Rheinebene mit der Bergstraße und dem sich schlängelnden Rhein: eine schöne Landschaft. Doch ist auf dem Gemälde noch viel mehr zu entdecken: Soldaten im Vordergrund und unter ihnen der hessische Landgraf Ludwig VIII. (1691-1768) mit seinem Sohn Georg Wilhelm (1722-1782). Es war Ludwig VIII., der den Auftrag gab, das Panorama erst zu skizzieren, dann malerisch zu übertragen. Der Landgraf wollte sich offenbar auch zu Hause mit der Heimat umgeben und hängte den "Prospect" im Herrenzimmer seines Marktpalais' als eine Art Wandtapete auf. So konnte er immer über den Rhein schauen, hatte die dort befindlichen französischen Truppen im Blick.
Das Gemälde entstand zur Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-1748). Doch zu sehen ist weder Schlachtengetümmel noch ein reines Idyll, mehr ein "politischer Schwebezustand", wie Carl-Christof Gebhardt, der Vorsitzende des Vereins "Freunde des Schlossmuseums Darmstadt", am Mittwoch bei der feierlichen Vorstellung des Gemäldes nach seiner Restaurierung im Schlossmuseum gesagt hat. Dieser politische Schwebezustand erlaubte es dem Landgrafen, sich vornehmlich seiner Jagdleidenschaft zu widmen, während die Franzosen erfolglos blieben und lediglich Preußen, um Schlesien erweitert, gestärkt aus dem Krieg hervorging - so der historische Hintergrund der Darstellung auf dem Gemälde.
ÖFFNUNGSZEITEN
Die auf dem "Prospect von dem Meliboco und dessen Gegend" festgehaltenen Orte lassen sich dank einer Legende am linken unteren Rand des Bildes identifizieren.
Das Gemälde kann ohne Eintritt zu den Öffnungszeiten des Schlossmuseums freitags bis sonntag von 10 bis 17 Uhr besichtigt werden. (bbeg)
Dazu hat jedes Kunstwerk aber auch seine eigene Geschichte. Darauf verwies Alexa-Beatrice Christ, Direktorin des Schlossmuseums. Diese Geschichte erzählt hier gleichfalls von Krieg und Versöhnung. Denn Johann Tobias Sonntags "Prospect" wanderte nach Ende des Großherzogtums Hessen-Darmstadt 1924 erstmals als Ausstellungsstück ins Schlossmuseum. 1944, nur wenige Monate vor der Darmstädter Brandnacht des Zweiten Weltkriegs, wurde er dann ausgelagert, um das Bild vor den Bombenangriffen zu schützen. Die Aktion war geheim, der Zielort Fischbach in Schlesien.
Am Ende des Kriegs wurde es von den Russen beschlagnahmt, diese gaben das Gemälde aber wieder nach Deutschland zurück. So kam es nach Thüringen. Für Darmstadt blieb sein Verbleib ungewiss. Unter den vielen Bildern, die im deutsch-deutschen Kulturabkommen noch vor der Wende 1986 ausgetauscht wurden, war es nicht zu finden.
Erst einige Jahre später entdeckte man den Bergstraßen-"Prospect" gemeinsam mit einem weiteren Großgemälde, das Darmstadt und Umgebung zeigt, zusammengerollt auf dem Dachboden von Schloss Burgk an der Saale. 1997 kamen die beiden Großbilder nach Darmstadt zurück, die Darmstadt-Ansicht wurde restauriert, der ramponierte "Meliboco" verschwand erneut, diesmal im Depot des Schlossmuseums.
Bis sich 2011 der Verein "Freunde des Schlossmuseums" gründete und beschloss, das schwerbeschädigte Gemälde restaurieren zu lassen. Die Vereinsmitglieder warben innerhalb von vier Jahren 90 000 Euro ein und spendeten selbst 10 000 Euro. Mit Christiane Ehrenfort fanden sie dazu eine ideale Restauratorin, die Knicke schloss, Risse und abgerissene Teile zusammenfügte, Schimmel beseitigte und dem Werk zu seiner ursprünglichen Leuchtkraft verhalf.
In einem eigenen kleinen Raum ist es jetzt nach fast hundert Jahren erneut im Schlossmuseum untergebracht. Der Augenschein lohnt sich, denn der vermutlich taubstumme Maler Sonntag hat intensiv beobachtet und detailreich die Menschen, Tiere und Landschaften ausgemalt. Als Schirmherr, selbst am Fuße des Melibokus lebend, sprach Professor Joachim-Felix Leonhard denn auch von einem "Stück Identität" für die Bürger der Region, deren Bürgermeister von Heppenheim bis Darmstadt neben vielen anderen gespendet hatten und im vollen Schlossmuseum die Rückkehr am Mittwoch mitfeierten.