WIESBADEN - Normalerweise agiert er im Schutz der Dunkelheit. Über Nacht lässt er riesige Kunstwerke entstehen, als Leinwand dienen ihm Gebäude, Brandmauern und Fassaden im öffentlichen Raum. Oftmals zeigen seine Gemälde menschliche Gestalten, aber auch Tiere, Fische, Spinnen, Affen, mal lieblich, mal obszön. Die Rede ist vom Street-Art-Künstler Vincent Glowinski, besser bekannt als Bonom. Unter diesem Namen wurde er in Brüssel zum urbanen Mythos, von dem niemand so richtig wusste, wer und was sich dahinter verbarg. Ein großes Geheimnis. Eher zufällig entwickelte er sehr eigene Bühnenprogramme, in denen er seine Kunst und seinen Körper in den Dienst seiner Bildwelten stellt.
Im Kleinen Haus des Staatstheaters war er jetzt mit seiner Performance „Skia Lumière Noire“ zu Gast. Auf der linken Seite verschanzt sich der Sounddesigner Éric Desjeux hinter allerhand aufgebauter Elektronik, rechts sitzt Teun Verbruggen am Schlagzeug, neben der Bühne der Techniker und Kameramann Jean-Francois Roversi. In der Mitte wartet ein niedriger Tisch, den Hintergrund beherrscht eine Videoleinwand. Vincent Glowinski schlendert hinein, schwarze Jeans, schwarzes Shirt. Er kniet sich vor den Tisch und beginnt zu den behutsamen Klängen des Schlagzeugs zu zeichnen, mit Kreide auf Papier; auf der Leinwand erscheint das weiße Blatt schwarz und die Striche weiß. Langsam entsteht vor den Augen der Zuschauer aus dem Strich eine Straße, eine Kreuzung, eine Stadt, eine Struktur, die sich auflöst, um sich zu transformieren. Genauso wie die musikalischen Spuren des Schlagzeugs, elektronisch verdichtet, verhärtet, umgewandelt werden, so lange bis etwas Neues entsteht. Nach der Kreide arbeitet Glowinski mit Wasserfarben, ein ganz anderer Rhythmus entsteht, ein anderer Drive, den die Schlieren auf dem Papier hinterlassen. Mal zart, mal rauschhaft geht das zu. Action Painting.
Wie eine Katze schleicht der Künstler um den Tisch, hockt sich davor, deckt seine Bilder mit Papier ab, widmet sich Ausschnitten, lässt sie Neues gebären. Immer wieder scheinen Teile des menschlichen Körpers auf, Arme, Beine, Körper, mal wirkt es, als improvisiere er wirklich zur Musik, mal scheint es zu konzipiert, um dem Zufall abgerungen zu sein. Mal bleibt die kleine Kamera stabil über dem Bildrahmen, mal nimmt er sie in die Hand und fährt an seinem Kunstwerk entlang. Dann zerschneidet er die Leinwand, ritzt sie, baut dreidimensionale Gebilde, es entsteht ein Film, der an abstrakte Stummfilme erinnert.
Was wir sehen, ist nicht nur das jeweilige Kunstwerk, sondern auch die Inszenierung eines Künstlers, der es versteht, sich und seine Kunst ins rechte Licht zu setzen, egal, ob er das Papier mit Fingerfarben traktiert oder sich selbst zum Ausgangspunkt seiner Bilder nimmt, Rot- oder Schwarzlicht auf die Bühne scheint. Die entstandenen Werke, allesamt von hoher Symbolkraft, fegt er achtlos vom Tisch, nicht das einzelne Kunstwerk steht hier im Vordergrund, sondern der Entstehungsprozess.
Im zweiten Teil malt er dann quasi mit dem eigenen Körper auf die Videoleinwand, ein Verfahren, das er mit Roversi entwickelt hat. Seine exaltierten Bewegungen und Tanzschritte beschreiben Muster, die sich auf der Leinwand zu abstrakten und anschaulichen Gebilden formen. Ein selbstherrlicher Tanz um die eigene Achse und ein Schöpfungsakt, der Staunen macht.