Erfolgsautor Frank Goldammer liest beim Gießener Krimifestival aus seinem Roman "Verlorene Engel", in dem Oberkommissar Max Heller und sein Team einem Vergewaltiger auf der...
GIESSEN. Eine grausam zugerichtete Krankenschwester, ein brutal misshandelter Junge, der verschwundene Leichnam eines Sowjetsoldaten: Oberkommissar Max Heller war bereits mit ganz unterschiedlichen Verbrechen konfrontiert. Und nun treibt ein kaltblütiger Vergewaltiger in Dresden sein Unwesen. Als dann auch noch eine Tote an der Elbe gefunden wird, wächst der Druck auf die Polizei ins schier Unermessliche. Deshalb bietet sich eine junge Kollegin aus der Polizeiverwaltung freiwillig als Lockvogel an, um dem Täter eine Falle zu stellen. Der erfahrene Ermittler hat kein gutes Gefühl bei der Aktion. Und tatsächlich läuft etwas schief bei dem nächtlichen Einsatz. Mit "Verlorene Engel" hat Frank Goldammer erneut einen spannenden Kriminalroman vorgelegt. Für Max Heller ist dieser sechste Fall seine vorletzte große Herausforderung.
"Ich war so duselig und habe von Anfang an gesagt, ich schreibe insgesamt sieben Bücher mit diesem Kommissar", sagt der Erfolgsautor im Netanya-Saal. Folglich markiert "Feind des Volkes" den Abschluss der Reihe und mit diesem gerade erschienenen Band wird der 46-Jährige wohl beim Gießener Krimifestival 2022 auftreten. "Er hat schon eine feste Einladung für das nächste Jahr", verrät Organisator Uwe Lischper. Eine wenig überraschende Ankündigung, denn der sympathische Dresdener hat sich in Mittelhessen längst eine Fangemeinde erschrieben. Immerhin macht er schon zum vierten Mal an der Lahn Station, nachdem der frühere "Tatort"-Kommissar Jörg Schüttauf 2017 den Premierenfall "Der Angstmann" bei "Neusehland" präsentiert hatte. "Ein bisschen traurig bin ich schon", räumt Frank Goldammer ein. Aber Max Heller habe mittlerweile so viele dramatische Dinge erlebt, sein Ruhestand sei also mehr als verdient.
Doch ganz ohne Tötungsdelikte wird das Leben des gelernten Handwerksmeisters nicht weitergehen. Mit "Im Schatten der Wende" startet bereits im kommenden Februar das "Team Ost-West" beim Kriminaldauerdienst in Dresden.
"Ich verkaufe noch immer mehr Bücher im Osten", schildert der Vater von Zwillingen vor der Lesung im Gespräch mit dem Anzeiger. Und fügt hinzu: "Mein Verlag und ich hoffen, dass wir damit in Westdeutschland noch etwas mehr Fuß fassen." Mit dem angehenden Kriminalpolizisten Tobias Falck steht dabei zwar ein ganz junger Fahnder im Mittelpunkt, seinem schriftstellerischen Konzept bleibt der 46-Jährige dennoch treu: Das verbrecherische Treiben wird auch weiterhin mit realen historischen Ereignissen verknüpft. Mit dem Unterschied, "dass ich nun auch auf meine eigenen Gefühle und Erfahrungen zurückgreifen kann". Max Heller ist nämlich seit 1944 im Einsatz und wird mit dem Mauerbau 1961 in Pension gehen - eine Zeitspanne, die Frank Goldammer noch nicht selbst erlebt hat.
"Verlorene Engel" beginnt im Herbst 1956, unmittelbar nach dem Volksaufstand in Ungarn. "Darüber haben die Menschen in der DDR nichts erfahren." Weder im Fernsehen, noch in den Zeitungen sei darüber berichtet worden. "Die Leute, die in der Nähe von Sowjetkasernen wohnten, haben aber schon mitbekommen, dass da ziemlich viel Bewegung ist." Und auch die Verbrechen des Sexualstraftäters, der an ganz unterschiedlichen Orten in Dresden zuschlägt, sollten verschwiegen werden. "Der Sozialismus hat den Menschen Sicherheit versprochen." Mord, Totschlag und Vergewaltigung durfte es also offiziell nicht geben. Max Heller ist jedoch überzeugt, dass die Frauen gewarnt und die Übergriffe deshalb publik gemacht werden müssten. Als schließlich ein junges Mädchen zum Opfer wird, fordert eine aufgebrachte Menge um dessen Vater Selbstjustiz. Damit greift der Autor wiederum einen realen Fall auf. Wegen eines Serienvergewaltigers habe nämlich ein Mob von 300 Leuten einst in Rostock mit Fackeln und Mistgabeln tatsächlich eine Polizeistation stürmen wollen. Genau diese Vorgehensweise macht die Romane von Frank Goldammer so lesenswert: Eingebunden in einen fesselnden Kriminalfall vermittelt er einen kenntnisreichen Einblick in die Alltagswelt der DDR.
Und weil der 46-Jährige "lieber quatscht, als vorzulesen", unterhält er sein Publikum mit allerlei Anekdoten, aber auch ernsthaften Beobachtungen. Etwa, als er von seiner Corona-Erkrankung erzählt, die ihn zwar zum Glück nicht auf die Intensivstation, doch gleichwohl "drei Tage lang zur Hölle und zurück" befördert habe. "Und die Leute um mich herum sahen alle aus wie Astronauten", beschreibt er - wie stets - charmant sächselnd die Schutzanzüge des Pflegepersonals.
"Bisschen Besessenheit"
Kurz zuvor hatte er seinen Maler- und Lackierbetrieb verkauft, konnte allerdings wegen der Infektion den Übergang nicht wie geplant begleiten. "Ich habe schon einige Jahre darüber nachgedacht, nur noch zu schreiben." Nun habe er endlich mehr Zeit, sich auf seine schriftstellerischen Projekte zu konzentrieren. Begonnen hat Frank Goldammer damit vor mehr als 20 Jahren, als er die ersten Bücher im Selbstverlag herausbrachte. Vier Seiten hat er früher jeden Tag geschafft, inzwischen sind es mindestens acht. "Das ist schon ein bisschen Besessenheit", sagt er schmunzelnd. Den zweiten Fall seines "Teams Ost-West" hat der 46-Jährige dank seiner unglaublichen Disziplin inzwischen abgeschlossen. Angesichts dieses Arbeitseifers müsse er manchmal bei Lesungen schon aufpassen, dass er sich an die gerade gefragte Geschichte erinnert. "Aber ich bin dann ganz schnell wieder in dem Fall drin."
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Frank Goldammer: Verlorene Engel. Ein Fall für Max Heller. München dtv, 2021, 400 Seiten, 16,90 Euro.
Frank Goldammer: Feind des Volkes. Max Hellers letzter Fall. München dtv 2021, 416 Seiten, 16 Euro.