Eine Themenführung des Darmstädter Schlossmuseums stellt die Regenten des 18. Jahrhunderts als absolutistische Herrscher eines armen Landes vor.
DARMSTADT. Not macht erfinderisch. „Wir sind aufgrund unserer räumlichen Situation das einzige Darmstädter Museum, das wegen Corona weiter geschlossen ist. Jetzt haben wir uns aber gedacht: Das kann nicht ewig so weitergehen“, sagt Alexa-Beatrice Christ, die Leiterin des Darmstädter Schlossmuseums. Mit ihren Mitarbeitern hat sie deshalb eine neue Themenführung entwickelt – nur vorab buchbar für Kleingruppen bis zu acht Personen, aber dafür ein wahrer Appetithappen für Liebhaber der Darmstädter Fürstengeschichte.
Es geht durch die Säle im ersten Obergeschoss des Hauses – darüber ist die Sanierung des Hauses weiter im Gang. Damit ist der zeitliche Rahmen gesteckt: Die Führung „Der Staat bin ich! Die Darmstädter Residenz im 18. Jahrhundert“ soll an Beispielen aus dem Alltag der barocken Landgrafen zeigen, „dass ihr Leben durch und durch vom Zeremoniell geprägt und dadurch durchaus auch eingeengt war“, wie Alexa-Beatrice Christ sagt. „Wir möchten anhand der Exponate unseres Hauses und mit nur kleinen Änderungen in den Sälen verdeutlichen, dass nicht nur unter dem französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. und in Versailles politischer Zentralismus gelebt wurde. Die Idee hat sich bis ins kleine und arme Darmstadt fortgepflanzt, deshalb geht es uns um Geschichte vor der Haustür, also nicht nur um Fakten, Fakten, Fakten, sondern um ein Stimmungsbild.“
Beispiele für die Darmstädter Mühen um europäischen Rang finden sich in Projekten mehrerer Landgrafen und einer Landgräfin – die sich alle in der ständigen Ausstellung des Schlossmuseums spiegeln. Ernst Ludwig (1667–1739) beispielsweise brachte nicht nur die Idee des Absolutismus von seiner Kavalierstour mit, die in Versailles geendet hatte, sondern er ging auch gleich in die Vollen, was deren Umsetzung anging. So beauftragte er den Baumeister Louis Remy de la Fosse nach einem Brand im Stadtschloss 1715 mit dem Entwurf eines riesigen Residenzschlosses – von dem allerdings nur ein kleiner Teil errichtet werden konnte, der noch dazu lange kein Dach hatte. Bei der Führung lernt man nicht nur diesen Ernst Ludwig in einem Gemälde Johann Christian Fiedlers kennen, sondern beispielsweise auch sein nie gebautes Ideal-Schloss anhand einer Zeichnung aus der Luftperspektive.
Eine andere Repräsentationspflicht artete dagegen bei Ernst Ludwig wie bei seinem Sohn Ludwig VIII. (1691–1768) zur finanziellen Belastung fürs ganze Land aus: die Jagd. Auch ihr ist ein Raum gewidmet, in dem zur Supraporte, auf der die barocke Arheilger Dianaburg mit Jagdgesellschaft dargestellt ist, neue Beigaben in einer Vitrine zu entdecken sind: Die „Sau-Gulden“ und „Hirsch-Dukaten“ wurden nach den Jagden an ihre Teilnehmer verschenkt, und das kleine Porzellan ist eine Replik der Diana-Plastik, die auf dem Bild den Pavillon schmückt.
Selbstdarstellung war alles für diese Landgrafen. Sie luden zu eleganten Spielabenden, hier dokumentiert durch einen Spieltisch Ludwigs VIII. Sie putzten sich auch (zu) teuer auf, ließen sich dabei wieder in einer Zeremonie prächtige Perückenfrisuren anlegen: Szenerien, die auf Porzellanen festgehalten wurden. Und natürlich wurde auch beim Diner geprunkt, indem der teure Zucker für den teuren Kaffee aus einem noch teureren, großen Silberstreuer kam.
Der ganze Stolz Ludwig VIII. war jedoch ein Ereignis von 1742, festgehalten in einem Fiedler-Bild, das die Gemächer des Landgrafen schmückte: Sein Sohn Georg Wilhelm durfte bei der Krönung Kaiser Karl VII. in Frankfurt als „Vorschneider“ agieren. Er hatte damit das Privileg, in einer eigentlich für Darmstadt viel zu teuren Seiden-Aufmachung das Fleisch für den Kaiser mundgerecht zu machen.
Am Ende des Rundgangs stehen mit der „Großen Landgräfin“ Karoline (1721–1774) und Landgraf Ludwig IX. (1719– 1790) Vertreter des sogenannten aufgeklärten Absolutismus, die sich der Doktrin des Preußen-Königs Friedrich der Große verschrieben haben. „Ich bin der erste Diener meines Landes“, soll der gesagt haben – was bei der Goethe- und Merck-Freundin unter anderem zur Neugestaltung und Öffnung des Herrngartens fürs Volk führte und zu abendlichen Vergnügungen wie Scherenschnitten, bei denen man aus den Profilen der Gezeigten auf ihren Charakter schließen wollte.
„Wir wollen mit dieser neuen Führung aber auch aufräumen mit Darmstädter Fürsten-Folklore“, sagt Alexa-Beatrice Christ zuletzt am Beispiel von Carolines ungeliebtem Ehemann: Ludwig IX. bis heute vor allem wegen seiner Neigung zu allem Soldatischen als ziemlich tumber Zeitgenosse verschrien. Tatsächlich jedoch gelang es ihm, den von den Vorfahren völlig verschuldeten Staat wieder zu konsolidieren und sowohl die Folter wie auch die fürstliche Jagd abzuschaffen.
Von Annette Krämer-Alig