„Tatort: Rhythm and Love“ führt die Ermittler in die Aussteigerszene. Der neueste Liefers-Fall kommt nicht zum idealen Zeitpunkt – so kurz nach dem Wirbel um #allesdichtmachen.
. Ideal ist das Timing für den Münsteraner „Tatort: Rhythm and Love“ nicht – so kurz nach dem Wirbel um die umstrittene Social-Media-Aktion #allesdichtmachen. Irgendwie fällt es derzeit schwer, Jan Josef Liefers als arrogant-aufgeblasenen Professor auf dem Bildschirm zu betrachten, ohne sich zumindest kurz bei der Frage zu ertappen, ob Boernes Narzissmus ausschließlich der Figur geschuldet ist – oder vielleicht auch Liefers selbst. Aber lassen wir das. Schließlich war die von WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin in einem (später gelöschten) Tweet gestellte Forderung an den Sender, die Zusammenarbeit mit Liefers zu beenden, mindestens genauso fragwürdig und daneben wie die Aktion #allesdichtmachen selbst. Blenden wir die ganze Affäre also aus, und widmen uns dem Sonntagskrimi.
Der ist nämlich gar nicht mal schlecht – auch wenn er sich teils großzügig aus der Klischeekiste bedient. Thiel (Axel Prahl) und Boerne bekommen es darin mit der Aussteigerszene zu tun. In einem Moorgebiet wurde eine männliche nackte Leiche entdeckt. Es ist Maik Koslowski, prominentes Mitglied des „Erlenhofs“, einer Art Hippie-Bauwagen-Kommune samt Ökolandbau, Tantra-Kurs und freier Liebe. Letztere sorgt bei den Münsteraner Ermittlern für Verwirrung – polyamourös, was soll das sein? Und geht das wirklich, so ganz ohne Eifersucht? Und wie, Koslowski hatte nicht nur mit Frauen Sex, sondern auch mit Männern? Als zu dem Kreis der Verdächtigen dann plötzlich auch noch ein Priester (Nikolai Kinski) und der Polizeipressesprecher Johannes Hagen (August Wittgenstein) stoßen, wird es Staatsanwältin Wilhelmine Klemm zu bunt. Sie pfeift Thiel zurück, aber der lässt sich nur kurzfristig beirren.
Derweil hat Boerne ganz andere Sorgen. Zum ersten Mal in seinem Leben wird der Professor von Selbstzweifeln geplagt – Grund ist eine im dräuende Plagiatsaffäre. Dabei hat er den geschätzten Kollegen doch nur zitiert! Oder ist ihm da doch ein Fehler unterlaufen? Auf der Suche nach Ablenkung wagt Boerne sich sogar in ein „Erlenhof“-Trommelseminar, was dem Zuschauer ein paar amüsante Szenen beschert. Von begangenen Fehlern und ihrem Gewissen werden unterdessen auch Boernes Assistentin Christine Haller (Christine Urspruch) und Thiels Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer) geplagt, was zur nächtlichen Verbrüderung beider bei einer Tasse Kakao mit Rum führt – eine nette Idee, zumal die beiden Figuren so endlich einmal mehr zu tun bekommen.
Nett ist auch das Wort, mit dem sich dieser von Elke Schuch geschriebene und von Brigitte Maria Bertele inszenierte „Tatort“ am ehesten beschreiben lässt. Er ist nicht übermäßig spannend, aber das kennt man aus Münster ja, sprüht aber auch nicht vor Witz und Klamauk. Vor allem ist er: nett. Selbst die klischeehaft gezeichnete Hippie-Kommune ist letztlich nur eine Projektionsfläche für zaghafte bürgerliche Ausbruchsträume. Doch gerade die Harmlosigkeit dieses Krimis ist wohltuend – wie beruhigender Balsam für pandemiegeschädigte Nerven. Das wir den gerade alle gebrauchen können – auch das hat die Affäre um #allesdichtmachen gezeigt.
Von Johanna Dupré