Iris Berben, Sunnyi Melles, Maria Dragus und Lars Eidinger - Deutschland hat zwar keine Filme in Cannes, aber Stars in nicht-deutschen Filmen
CANNES - Gute Stimmung herrscht an der Croisette, der weltberühmten Strandpromenade von Cannes, an der seit nunmehr 75 Jahren die wichtigsten Filmfestspiele der Welt stattfinden. Denn die Jubiläumsausgabe des Festivals überzeugt bisher mit starken Filmen, einer großen Dichte an Stars und bekannten Regisseuren, aber auch mit politischer Relevanz der Stoffe und Filme. Diese drei Aspekte kommen am perfektesten in dem Film zusammen, der bisher für die größte Begeisterung, aber auch für die meisten Kontroversen geführt hat: „Triagle of Sadness“ vom Schweden Ruben Östlund.
Östlund, einer von vier Regisseuren im Wettbewerb, die bereits eine Goldene Palme gewonnen haben, bietet in seiner schrägen Farce, die man auch als bitterböse Erwachsenenversion des TV-Evergreens „Traumschiff“ beschreiben könnte, auch zwei deutschen Schauspielerinnnen die große Bühne von Cannes: Iris Berben und Sunnyi Melles spielen zwei von einem ganzen Dutzend Superreicher aus aller Welt, illustre Gästeschar einer Luxusyacht. Auf der spielt der größte Teil eines Films, der vor allem das Portrait moralisch dekadenter, von gedankenlosem Überfluß und Zynismus geprägter Wohlstandsverhältnisse ist.
Filmemacher halten Publikum Spiegel vor
Der Schwede bedient sich dabei einer kunstvollen Ästhetik aus schönen Oberflächen und Glätte, um die moralische Hässlichkeit der Welt um so klarer zu zeigen. Hoch-virtuos werden moralistische Arroganz, Gier und andere schlechte Seiten der Menschheit mehr oder weniger genüsslich breitgetreten. Und die deutschen Schauspieler haben hier prägnante Rollen, die sie mit großem Körpereinsatz und viel Humor spielen.
Dabei zielt der Film nicht allein auf die Reichen – im Gegenteil er will zeigen, dass Arme, Geflüchtete und andere Ausgebeutete moralisch keineswegs besser sind. Das zeigt sich, als nach dem Untergang der Luxusyacht die Überlebenden auf einer einsamen Insel stranden, und sich die Machtverhältnisse verschieben. Wenn die chinesische Toilettenfrau dann plötzlich den Oligarchen kommandiert, lacht das Kinopublikum in Cannes gellend, bevor es manchen dämmert, dass auch sie selbst gemeint sind.
Auch ein zweiter Filmemacher hält dem Publikum den Spiegel vor, in der Hoffnung, durch Desillusionierung etwas verbessern zu können. Es ist der Rumäne Cristi Mungiu. In „RMN“ entfaltet er souverän eine Geschichte über Globalisierung und Digitalisierung der Arbeitsverhältnisse. Die jungen Frauen versuchen, die neuen Chancen dazu nutzen, nicht mehr länger im Schatten der Männer zu stehen. Ein Rückkehrer versucht wiederum, seinen Sohn zum „starken Mann“ zu erziehen; den Schwächen der Männer begegnet er in seinem todkranken Vater und in dem eigenen Unvermögen, sich eine solide Existenz zu bauen, während die Frauen an ihm vorbeiziehen. Eine von ihnen spielt Maria Dragus.
Auch Lars Eidinger gehört zu jenen Deutschen, die in Filmen anderer Europäer Chancen bekommen, die ihnen offensichtlich der deutsche Film nicht bieten kann: In Olivier Assayas’ wunderbarer Stummfilmhommage „Irma Vep“ spielt er eine mythologische Gangsterfigur, die zusammen mit der charismatischen Heldin Musidora (gespielt von Alicia Vikander) die Pariser Nächte unsicher macht – ein surreales „Film im Film im Film“-Spiel, das nebenbei die Glamourmaschine Cannes selbst auf den Arm nimmt und ihre Lebenslügen ein bisschen bloßstellt.
Großes Starkino und sensible Erzählkunst treffen zusammen im zweiten Favorit der bisher gezeigten guten Hälfte des Wettbewerbs: In „Armageddon Time“ erzählt James Gray von seiner eigenen Kindheit im jüdisch-russischen Milieu von Brooklyns „Brighton Beach“ um 1980. Aus der Perspektive eines 12-Jährigen erzählt Grey vom Erwachsenwerden im Schatten der Wahl Ronald Reagans und des Endes aller progressiv-liberalen Träume Amerikas. Anne Hathaway spielt die Mutter, die am Fortschritt weiter festhalten mag, und dem Sohn die Künstlerkarriere auszureden sucht. Anthony Hopkins spielt den Großvater, der sich noch die antijüdischen Pogrome in der Ukraine des Zarenreichs erinnert, und dem Enkel einschärft: „Vergiss Deine Vergangenheit nicht!“
Eine besondere Form der europäischen Erinnerungsarbeit hat der in der UdSSR geborene Sergei Loznitsa unternommen: „Die Naturgeschichte der Zerstörung“ ist einer der großartigsten Filme die in Cannes bisher gezeigt wurden. In einer virtuosen Montage alten Originalmaterials konstruiert er den Bombenkrieg im 2. Weltkrieg. Inspiriert von W.G. Sebald Essays zum Luftkrieg, gelingt Loznitsa eine düstere Parabel, die nicht auf unsere aktuellen Kriege zielt, sie aber jede Sekunde mitdenken lässt.