Man kann sich kaum vorstellen, wie diese Bücher hergestellt wurden: Gut 7000 winzige Miniaturbücher befinden sich in der Sammlung des Mainzer Gutenberg-Museums, darunter...
MAINZ. Man kann sich kaum vorstellen, wie diese Bücher hergestellt wurden. Beziehungsweise: Man kann. Aber das macht es nur unvorstellbarer. In den Vitrinen, in denen das Mainzer Gutenberg-Museum einen Teil seiner Miniaturbuchsammlung ausstellt, stehen auch Werkzeuge: Eine winzige Schneidemaschine. Eine Stockpresse, in die sogar noch ein klitzekleiner Bücherstapel eingespannt ist. Unfassbar, dass jemand mit diesen Puppenstubeninstrumenten gearbeitet hat. Aber tatsächlich konnten Miniaturbücher jahrhundertelang nur genauso gefertigt werden wie ihre großen Geschwister – die Geräte mussten daher ebenso schrumpfen.
Bildergalerie
Das enorme Geschick, das so nötig ist, um ein Miniaturbuch herzustellen, macht bis heute den Reiz der Kleinode aus – auch wenn es inzwischen längst andere Schrumpf-Möglichkeiten gibt: Die fotomechanische Verkleinerung. Oder die Mikroelektronik. Der Ingenieur Stephan Sauter hat so die komplette, 1200 Seiten starke Lutherbibel mit Elektronenstrahlen auf einen vier mal vier Millimeter großen Quarzglaschip geschrieben: die „Nanobibel“. Eingelassen in die Mitte eines Metallkreuzes, lässt sich ihr Inhalt nur erahnen: „Lesen können Sie das nur noch mit dem Mikroskop, bei 1600-facher Vergrößerung“, erzählt Elke Schutt-Kehm, stellvertretende Direktorin des Gutenberg-Museums.
Andere der Mainzer Miniatur-Schätze lassen sich dagegen einfach mit guten Augen lesen – und vielleicht einer Lupe. Alles andere wäre auch seltsam – schließlich hatten die Winzlinge in den ersten Jahrhunderten des Druckzeitalters durchaus einen praktischen Nutzen, wie Ulla Reske, zuständig für die Graphische Sammlung, erklärt: als transportabler Lesestoff. „Kalender, Wörterbücher und Gebetsbücher trug man gerne so bei sich“, sagt Reske – ein Beispiel ist das „Zeitglöcklein“ von 1491. Beliebt war die Mini-Form „aber auch für frühe Erotika, die man bei Bedarf dann ganz schnell verstecken konnte“.
Viele der 7000 Schätze lagern im Depot
Gut 7000 Exemplare umfasst die Mainzer Miniaturbuch-Sammlung. Die meisten stammen aus dem Nachlass von Heinz Müller, einem gelernten Schriftsetzer, und konnten 2012 angekauft werden. „Seitdem haben wir die größte Sammlung in Europa“, sagt Schutt-Kehm. In den Vitrinen zu sehen sind jedoch nur 100 Exponate. Der Rest – darunter Kuriositäten wie „Das Nusszweiglein“, ein Märchen, das in eine Walnuss passt – schlummert im Depot, und ist nur bei Führungen oder auf Anfrage zu sehen. „Eine Miniaturbuch-Ausstellung wäre schön, auch weil wir merken, dass das etwas ist, was die Besucher sehr interessiert“, sagt Reske. Konkrete Pläne gebe es aber nicht – wie so oft in Mainz dürfte der Faktor Geld das Problem sein.
Da trifft es sich gut, dass Besucher ein Exponat, das kleinste im Druck hergestellte Auflagenwerk, sogar mit nach Hause nehmen können – und damit das Gutenberg-Museum finanziell unterstützen. Seit 1958 wird in Mainz das „Kleinste Buch der Welt“ verkauft; 28 Euro kostet es heute im Gutenberg-Shop. Jedenfalls in der Variante „Vaterunser“, die das Gebet in sieben Sprachen enthält – auf 3,5 mal 3,5 Millimetern. Gedruckt hat es in den 50-ern die Graphische Buchhandlung Waldmann & Pfitzner in München. „Aber initiiert wurde das wahrscheinlich von Jockel Fuchs, dem späteren Oberbürgermeister“, sagt Zvjezdana Cordier, Leiterin des Gutenberg-Shops. Die Idee war, mit dem anfangs für fünf Mark verkauften Buch den Wiederaufbau des Museums zu finanzieren. Schon heute liegt einiges rund um die Entstehunggeschichte im Dunkeln – ein paar Hinweise konnte eine Kiste geben, die der Sohn des Münchner Druckers in der elterlichen Garage entdeckt und dem Gutenberg-Shop vermacht hat. Sie enthielt etwa einen vollständigen Druckstock – man sieht, wie winzig die Typen sind, die je eine ganze Seite enthalten. Und Briefwechsel, die zeigen, dass Herr Waldmann, der wohl „sehr umtriebig war“, so Cordier, das „Kleinste Buch“ an mehrere Persönlichkeiten seiner Zeit schickte. „Sehr interessiert“ zeigte sich etwa Kanzler Adenauer. „Bemerkenswert“ fand es Bundespräsident Theodor Heuss. Inzwischen haben viele weitere Prominente das Buch erhalten, darunter die britische Königin Elisabeth II. Schließlich verschenkt die Stadt Mainz es gern bei besonderen Anlässen. Sie lagert die verbleibenden Exemplare in einem Tresor im Rathaus. Von dort erhält der Gutenberg-Shop Nachschub – so lange der Vorrat reicht. Denn eins ist sicher: „Dieses Buch kann so nicht mehr hergestellt werden“, sagt Cordier. Das handwerkliche Wissen dazu ist schlicht verloren gegangen.
Von Johanna Dupré