Made-Festival bringt freies Theater nach Darmstadt

Steffan Lars Popp und Katja Hergenhahn leiten das Made-Festival.         Foto: Andreas Kelm
© Andreas Kelm

Es geht um Wut und Staub, Dramatik und Diktatur. Vom 29. Juni bis 2. Juli gibt es Programm im Mollerhaus, in den Kammerspielen und im Atelierhaus.

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DARMSTADT. Das neunte Made-Festival der freien Theaterszene in Hessen trägt den Untertitel „180 Prozent Druckausgleich“. Was bedeutet das denn? „Da ist Dampf im Kessel“, sagt Festivalleiterin Katja Hergenhahn. „Es ist spürbar, dass sich was aufgestaut hat.“ Nach zwei Jahren Theater in der Pandemie verständlich. „Es bezieht sich auf den Begriff, auf 180 sein“, ergänzt ihr Kollege Steffen Lars Popp. „Irgendwas ist nicht in der Balance.“ Wobei das Festival vom Mittwoch, 29. Juni, bis Samstag, 2. Juli, kein Wutkünstlertum vorführen wird. „Es geschieht humorvoll, mit einem Augenzwinkern“, sagt Popp, und Hergenhahn freut sich: „Viele Stücke sind einfach hochenergetisch.“

Zum zweiten Mal nach 2020 ist Darmstadt einer der Spielorte der Festival-Biennale, die auch in Gießen und Kassel ausgerichtet wird. Von 2009 bis 2015 war „Made in Hessen“ ein Gastspielprogramm, das freie Produktionen vor allem in den ländlichen Raum bringen sollte. Seit 2017 wird das Programm als Festival in wechselnden hessischen Städten präsentiert. Nur nicht in Frankfurt. Da gibt es schon genug freies Theater.

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Kein Freilichttheater, dafür viele Filme

Von rund 50 Produktionen, die in diesem Jahr eingereicht wurden, sind 13 fürs Festival ausgewählt, aber nicht alle sind in allen Städten zu sehen. Im Darmstädter Theater Mollerhaus und im Staatstheater werden zwei Performances, zwei Schauspielstücke und ein Tanzsolo gezeigt. Freilichttheater – in der Pandemie ja sehr beliebt – ist erstaunlicherweise nicht vertreten. Auch Onlineformate wurden nicht eingereicht. Dafür jede Menge Filme – vier Videos laufen während des Festivals.

Auf den Bühnen wiederum geht es um Wut und Staub, Dramatik und Diktatur. Und immer wieder werden dabei Frauenfragen ins Spiel gebracht. „Es hätte auch ein feministisches Festival werden können“, sagt Katja Hergenhahn. „Es geht um Themen wie Macht, Teilhabe und Gleichberechtigung.“ Was erwartet das Publikum?

Cowboys auf dem Court: Die Frankfurter Produktion „Rage. A Tennis Western“ (29. Juni, 20 Uhr, Kammerspiele) handelt von cholerischem Zorn im Sport. Von John McEnroe bis Nick Kyrgios kennt man es ja, dass Männer beim Tennis toben. Hanna Steinmayrs Inszenierung blickt mit vielen Originalzitaten aber auch auf einen Ausraster von Serena Williams. „Sie verhandeln das Reglement, dass Wut in diesem Sport zensiert wird“, sagt Festivalleiterin Katja Hergenhahn. Ob Männer anders toben und anders bestraft werden als Frauen?

Schmutz in der Stube: Die Gießener Performance „Aus dem Innenleben eines Staubsaugerbeutels“ (30. Juni um 20 Uhr im Mollerhaus) handelt von Kaufrausch und Sammelwut in der Konsumgesellschaft. Dabei wirft das Stück auch die Frage auf: Wo ist das Theater selbst verstaubt? Antwort: in der Operette! „Die Inszenierung hat etwas Laborhaftes“, sagt Steffen Lars Popp. „Wir alle sind im Staubsaugerbeutel, wo aufgefangener Alltag liegt.“ Auf der Bühne sind das nicht nur Staubknäuel, es finden sich auch Nippes, Kitsch und Plunder.

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Dramatik über Dramatik: Die Frankfurter Inszenierung „In Her Farce oder die Autorin ist tot“ (1. Juli um 20 Uhr im Mollerhaus) zeigt eine Autorin, die ein Stück über die Dramatikerin Sarah Kane (1971–1999) schreiben will. Die Britin verfasste fünf brutal realistische Dramen, sorgte für Theaterskandale. Kane litt an Depressionen, nahm sich das Leben, was ihr einen postumen Legendenstatus bescherte. „Es geht um Zuschreibungen für Frauen“, sagt Katja Hergenhahn. „Wie eine Autorin für die Theoriebildung in Anspruch genommen wird, wie sie in eine Ahnenreihe von Feministinnen gestellt wird.“ Ob Sarah Kane damit einverstanden gewesen wäre?

Drei für eine: „Gift“ (2. Juli, 18 Uhr, Mollerhaus) ist ein Solo der Tänzerin Evelin Stadler. Drei Choreografinnen und Choreografen, die ihr verbunden sind, haben für den Abend Soli mit ihr erarbeitet – zu sehen abwechselnd live und als Film. „Gift“ ist hier in der englischen Bedeutung zu verstehen: ein künstlerisches „Geschenk“.

König mit geklauter Krone: „Ubu c‘est moi – ein Machtspiel“ (am 2. Juli, 18 Uhr, im Mollerhaus) ist der Festivalbeitrag des Darmstädter Theater Transit. Volker Ell und Max Petermann zeigen Alfred Jarrys Groteske „König Ubu“ über einen mörderischen Usurpator in einer sehr freien Lesart.

Im Atelierhaus Darmstadt laufen während des Festivals unter dem Titel „Umsichten“ vier Videoarbeiten in Endlosschleife. Am Abschlusstag (2. Juli) gibt es um 15 Uhr an der Kulturtankstelle (Im Niederfeld) eine Podiumsdiskussion über „Darstellende Visionen für Darmstadt“.