Vergewaltigungs-Bewältigung im Studio, Charmante Produktion zum Thema Altern im Malsaal – die Wiesbaden Biennale stürzt die Besucher auch im Theater in ein Wechselbad der Gefühle.
WIESBADEN - Und immer wieder prallen bei der Biennale 2018 die Kontraste aufeinander. Das funktioniert auch mit theatralischen Mitteln – obwohl das Theater ja derzeit nur noch ein „nachgenutztes“ ist. Aber auch in dem gibt es solche krassen Doku-Performances wie „Cock, cock... who‘s there?“ von Samira Elagoz, die damit ihre eigene Vergewaltigung aufarbeitet. Und gleich im Anschluss die charmante, gelassene und sehr weise Produktion des Performance-Kollektivs „Gob Squad“ rund ums Thema Altern. Mit ihrem Abend „Creation (Pictures for Dorian)“ gastierten Johanna Freiburg, Sean Patten und Berit Stumpf im gut gefüllten Malsaal.
Was hat Dorian Gray mit Ikebana gemeinsam?
Bei Dorian Gray, der janusköpfigen Romanfigur von Oscar Wilde, da geht es um Bilder, die zu unseren Stellvertretern werden: Ein Porträt altert für ihn und zeigt dabei zunehmend seine innere Verrohung – während er selbst jung bleibt und makellos. Konsequent filmen „Gob Squad“ 90 Minuten lang das Bühnengeschehen, versehen dort entstehende, fein choreografierte Bilder – beispielsweise von ebenfalls verwesenden Ikebana-Gebinden – mit poetischen Titeln wie „Die Welt gehört dir einen Sommer lang“ und arrangieren sechs nur für diese Vorstellungen rekrutierte Menschen aus der Region ebenfalls zu erstarrenden, künstlich schönen Posen. Was auch mal beklatschte, tagesaktuelle Aufforderungen enthält, wie: „Mach uns doch die Erdogan-Statue.“
Das Material Mensch, mit dem die drei subversiven Chronisten der tragischen, aber unvermeidlichen Lebenswirklichkeit vergänglicher Attraktivität ihre präzise komponierten, oft fast barocken Bilder formen, sind drei junge und drei ältere Menschen. Jeder hat dabei quasi seinen Spiegel – und tatsächliche, folienbezogene Rahmen wiederum lassen immer wieder jung und alt miteinander in einen Dialog treten.
„Wer unter die Oberfläche taucht, der tut es auf eigene Gefahr“, heißt es dabei. Aber er findet: Vor allem drei wunderbare, lebenserfahrene Akteure, die in der Produktion mitspielen. Mit welcher Grazie der elegante Damenimitator aus seinem Leben in Varietés erzählt. Oder der 92-jährige Schauspieler, der sich eigentlich geschworen hatte, nur noch bis zum 90. Lebensjahr auf der Bühne zu stehen – und sein „Comeback“ an diesem Abend bravourös meisterte. Es sind Lebensgeschichten wie diese, die deutlich machen: „Wir sind unser eigenes Kunstwerk. Wir sind noch nicht fertig. Wir wollen immer mehr.“ Das sah das Publikum auch so und zollte dem Ensemble reichlich Beifall.
Samira Elagoz, die finnische Performance-Künstlerin, bot im Studio einen Einblick in ihre ungewöhnliche Aufarbeitung der eigenen, zweifachen Vergewaltigungserfahrungen: Auf zwei Ebenen erzählt sie davon – real auf der Bühne und mit ihrem Film-Projekt. Über Online-Plattformen hat sie sich dazu in verschiedenen Städten der Welt mit zahlreichen Männern verabredet und die Treffen gefilmt. Ein Experiment, bei dem es darum geht, wie sich zwei Fremde begegnen. Dabei steht im Mittelpunkt, zu erfahren, wie Männer sie sehen. Dabei beobachtet sie sich selbst, die Männer aber ebenso – eine Bewältigungsstrategie, die es ihr ermöglicht, quasi von außen auf das Geschehen zu blicken und eine Distanz dazu aufzubauen. Zwischen diese oft skurrilen Begegnungen – manche Männer versuchen, sie mit wirklich schrägen Fähigkeiten zu beeindrucken – sind Gespräche mit Familienmitgliedern und Freunden montiert, die erzählen, wie sie auf die Vergewaltigungen reagiert haben. Eine expressive, mutige Performance einer Frau, die aus der Opferrolle herauskommt.